Der Zauberhut
Lippen.
»Trotzdem…«, sagte Nijel unsicher. »Ich frage mich, ob wir keinen Fehler gemacht haben.«
»Wir sind unterwegs«, warf Conina ein. »Das genügt doch, oder?«
»Es ist nur… Nun, wenn man Kumuluswolken von oben betrachtet…«
»Sei still!«
»Entschuldige bitte.«
»Wie dem auch sei: Es sind Stratuswolken. Bestenfalls eine Mischung aus beiden.«
»Na schön«, murmelte Nijel kummervoll.
»Macht das irgendeinen Unterschied?« fragte Krösus, der sich verzweifelt am Hals seines Rosses festklammerte und nicht wagte, die Augen zu öffnen.
»Er beträgt ungefähr dreihundert Meter.«
»Oh.«
»Vielleicht auch nur zweihundert«, gestand Conina ein.
»Ah.«
D er Turm kreativer Magie erzitterte. Bunter Rauch wallte durch die weiten Kammern und glänzenden Korridore. Im großen Zimmer ganz oben, wo die dichte, schmierige Luft nach verbranntem Blech roch, sanken Dutzende von Zauberern ohnmächtig zu Boden – sie waren den Anstrengungen der magischen Schlacht einfach nicht mehr gewachsen. Aber es blieben genug übrig. Sie saßen in einem weiten Kreis und konzentrierten sich auf den thaumaturgischen Kampf.
Irgend etwas schimmerte matt, als pure kreative Magie aus dem Stab des Knaben ins Zentrum des Oktagramms strömte.
Für einen Sekundenbruchteil entstanden sonderbare Formen und verschwanden dann wieder. An diesem Ort wurde das Gefüge der Realität durch die Mangel gedreht.
Krempel schauderte und wandte sich ab. Er wollte es vermeiden, Dinge zu erblicken, die er nicht ignorieren konnte.
Vor den überlebenden Seniorzauberern schwebte eine naturgetreue Darstellung der Scheibenwelt. Krempel sah auf sie hinab und beobachtete, wie der kleine rote Fleck über Quirm flackerte und sich auflöste.
Es knackte und knisterte.
»Damit wäre Quirm ebenfalls erledigt«, murmelte Krempel. »Jetzt bleibt nur noch Al Khali«, sagte einer seiner Kollegen. »Dort leistet eine große Macht Widerstand.«
Krempel nickte bedrückt. Er hatte Quirm gemocht und dachte an eine hübsche Stadt am Randmeer, die nun nicht mehr existierte. Zumindest nicht in ihrer ursprünglichen Form.
Vage erinnerte er sich daran, sie einmal als kleiner Junge besucht zu haben. Seine Gedanken glitten in die Vergangenheit, in der er kopfsteingepflasterte Straßen und Geranien sah. Er nahm sogar ihren Duft wahr und atmete tief durch.
»Sie wuchsen aus den Mauern«, sagte er laut. »Rosarot. Sie waren rosarot.«
Die anderen Zauberer musterten ihn mißtrauisch. Einige mit besonders paranoiden Einstellungen drehten sich sogar um und beobachteten argwöhnisch die Wände.
»Ist alles in Ordnung mit dir?« fragte einer von ihnen.
»Hm?« Krempel blinzelte. »Oh. Ja. Entschuldigt bitte. War nur ein wenig abgelenkt.«
Er drehte sich um und richtete seine Aufmerksamkeit auf Münze. Der Junge saß etwas abseits des Kreises, mit dem Stab quer über den Knien, und er schien zu schlafen. Vielleicht täuschte dieser Eindruck nicht. Aber tief in seiner gequälten Seele wußte Krempel, daß der Zauberstab nicht schlief. Das Ding starrte ihn an, blickte tief in ihn hinein.
Es wußte über alles Bescheid. Selbst über die rosaroten Geranien.
»Ich habe es mir völlig anders vorgestellt«, sagte Krempel leise. »Ich wollte nur ein wenig Respekt, mehr nicht.«
»Ist wirklich alles in Ordnung mit dir?«
Krempel nickte andeutungsweise und beobachtete seine Kollegen, während sie sich wieder auf das Oktagramm konzentrierten.
Aus irgendeinem Grund hatte er alle seine Freunde verloren. Nun, eigentlich konnte man nicht von ›Freunden‹ sprechen. Zauberer schlossen keine Freundschaften, zumindest nicht mit anderen Zauberern. Krempel suchte nach einem anderen, geeigneteren Wort. Ach ja: Feinde. Doch es handelte sich um besonders anständige und ehrenwerte Gegner, deren Feindschaft man bedingungslos vertrauen durfte. Der metaphorische Rahm unserer Zunft, dachte er. Diese Burschen hier sind Emporkömmlinge, die Magier meines Standes noch vor wenigen Tagen überhaupt nicht beachtet hätten. Sie verdanken ihren Status nur dem Umstand, daß es keine thaumaturgischen Stufen mehr gibt. Der kreative Magus hat sie abgeschafft.
Krempel blieb im Bild und fügte lautlos hinzu: Jetzt schwimmt nicht mehr nur der Rahm oben.
Er sah auf die Darstellung der Scheibenwelt, stellte seinen Blick auf Al Khali scharf und sondierte in Gedanken. Er wußte natürlich, daß sich die dortigen Zauberer ebenso verhielten und nach schwachen Stellen suchten.
Bin ich eine schwache Stelle?
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