Der Zauberhut
Sie sah einen vorbeikommenden Matrosen an, verzog das Gesicht und winkte mit der Schere. »Was guckst du so? Hast du noch nie jemanden gesehen, dem die Haare geschnitten wurden?«
Ein Mann in der Takelage brummte etwas, und von den Bramsegeln her – vielleicht handelte es sich auch ums Vorschiff – ertönte anzügliches Gelächter.
»Das habe ich nicht gehört«, log Conina, zerrte entschlossen am Kamm und löste damit einige harmlose Insekten von Rincewinds Kopfhaut.
»Au!«
»Ich habe dir doch gesagt, du sollst stillhalten!«
»Das fällt mir nicht gerade leicht. Ich muß dauernd daran denken, wer die scharfen Klingen schwingt.«
Auf diese Weise verging der Morgen: Kleine Wellen leckten fröhlich am Rumpf der Ozeanwalzer entlang, in der Takelage knarrte und knirschte es – und Rincewind bekam einen recht ausgefeilten Stufenschnitt. Als er sich in einem Spiegelsplitter beobachtete, konnte er eine gewisse ästhetische Verbesserung nicht leugnen.
Der Kapitän hatte ihnen mitgeteilt, daß sie die Stadt Al Khali an der mittwärtigen Küste von Klatsch anliefen.
»Der einzige Unterschied zu Ankh besteht darin, daß es dort keinen Schlamm gibt, sondern nur Sand«, sagte Rincewind und beugte sich über die Reling. »Außerdem dient Al Khali als Umschlagplatz für Sklaven aller Art.«
»Sklaverei ist unmoralisch«, sagte Conina fest.
»Tatsächlich? Donnerwetter!« entfuhr es Rincewind.
»Möchtest du, daß ich deinen Bart stutze?« fragte die junge Frau hoffnungsvoll.
Sie hob die Schere, verharrte in dieser Haltung und starrte übers Meer.
»Gibt es irgendwelche Seeleute, die ein Kanu mit seitlichen Erweiterungen und einem kleinen Segel benutzen, das mit der Darstellung eines roten Auges geschmückt ist?«
»Ich habe von klatschianischen Sklavenpiraten gehört«, erwiderte Rincewind. »Aber dies ist ein großes Schiff. Bestimmt wagt es niemand, uns anzugreifen.«
»Ein Sklavenpirat sicher nicht«, pflichtete ihm Conina bei und beobachtete noch immer den dunstigen Bereich, der den Übergang zwischen Ozean und Himmel markierte. »Aber vielleicht fühlen sie sich mit fünf Booten stark genug.«
Rincewind spähte zur fernen Gräue und sah zum Ausguck hoch. Der Mann im Mastkorb schüttelte den Kopf.
»Du willst mich wohl auf den Arm nehmen, was?« brummte er und lachte mit dem Humor eines verstopften Abflußrohrs. »Du kannst dort drüben überhaupt nichts erkennen, oder? Oder?«
»In jedem Kanu sitzen zehn Männer«, sagte Conina grimmig. »Hör mal, wenn das ein Witz sein soll…«
»Sie sind mit langen Krummsäbeln bewaffnet.«
»Nun, ich sehe nur Wasser und…«
»… ihr langes und ziemlich schmutziges Haar weht im Wind…«
»Vermutlich sind die Haarspitzen gespalten, stimmt’s?« bemerkte Rincewind trocken.
»Versuchst du etwa, komisch zu sein?«
»Wer? Ich?«
»Und ich habe überhaupt keine Waffe«, sagte Conina und wandte sich ruckartig von der Reling ab. »Wahrscheinlich gibt es auf diesem Schiff kein einziges anständiges Schwert.«
»Vielleicht solltest du nach einem unanständigen Ausschau halten«, schlug Rincewind kühn vor und hüstelte, als ihn die junge Frau mit einem finsteren Blick bedachte. Dennoch fügte er hinzu: »Vielleicht sind die klatschianischen Piraten nur hierher unterwegs, um sich von dir die Haare waschen zu lassen.«
Erstaunlicherweise reagierte Conina nicht auf die letzte Bemerkung. Während sie hastig ihr Gepäck durchsuchte, näherte sich Rincewind vorsichtig der Schachtel, die den Hut des Erzkanzlers enthielt. Behutsam öffnete er den Deckel.
»Dort draußen ist überhaupt nichts, oder?« fragte er.
Woher soll ich das wissen? Setz mich auf.
»Was? Auf den Kopf?«
Gütiger Himmel…
»Aber ich bin doch nicht der Erzkanzler!« entfuhr es Rincewind. »Ich meine, mein Haupt ist nicht würdig genug. Ich meine, ich weiß natürlich, wie wichtig es ist, einen kühlen Kopf zu bewahren…«
Ich brauche deine Augen, um zu sehen. Setz mich endlich auf. Und zwar auf den Kopf.
»Äh…«
Vertrau mir.
Es blieb Rincewind gar nichts anderes übrig, als zu gehorchen. Zögernd setzte er seinen ziemlich mitgenommenen grauen Hut ab, blickte wehmütig auf den zerkratzten Stern und hob das Symbol des Erzkanzlers aus der Schachtel. Es war schwerer, als er erwartet hatte, und die Oktarine glühten matt.
Langsam ließ er den weitaus prächtigeren Hut auf seinen neuen Haarschnitt herab, schloß die Hände fest um die Krempe und rechnete jeden Augenblick damit, ersten Frost zu
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