Der Zauberspiegel
zum ersten Mal bemerkte.
Sie regte sich, seufzte und schlug die Augen auf. Als sich ihre Blicke trafen, fühlte Aran ein angenehmes Kribbeln in seinem ganzen Körper. Er beugte sich über sie und küsste sie auf die Stirn.
Juliane lächelte. »Ich habe nicht erwartet, dich noch zu sehen, wenn ich erwache. Hast du gut geschlafen?«
Aran erwiderte ihr Lächeln und nickte.
*
Juliane musterte sein Gesicht und fand keinen Zorn oder Hass darin. Er gehörte zu ihr und war ein Teil von ihr, der Teil, der sie verstand und liebte wie niemand sonst. Sie wünschte, dieser Moment würde nie vergehen, doch von draußen drangen Stimmen herein, trugen die Wirklichkeit mit sich und zerstörten den Zauber.
Aran erhob sich und lächelte Juliane noch einmal zu. »Ich gehe, bevor man mich bei dir ertappt.«
Juliane stand ebenfalls auf. »Wäre das schlimm?«, fragte sie keck. Den Anstand zu wahren und deshalb Aran als ihren Verbundenen annehmen zu müssen, weckte allenfalls Freude aber kein Unbehagen in ihr.
Er lächelte noch immer, doch seine Gedanken ließ er nicht erkennen. Stattdessen drückte er sie noch einmal kurz an sich, bevor er ging.
Während Juliane sich ankleidete, dachte sie an die Veränderung, die in Aran vorgegangen war. Er hatte sich ihr weiter geöffnet als je zuvor. Sie fuhr sich mit einer Bürste durch die Haare, als sie plötzlich erkannte, weshalb sie sich so beschwingt fühlte. Die silberne Schnur schwebte summend und vibrierend über ihr. Die mystische Verbindung vereinte sie und Aran über die Entfernung miteinander. Sie konnte weder seine Gedanken lesen noch erfassen, was er tat. Doch sie spürte seine Existenz, seine Nähe. Allein das war zutiefst befriedigend.
Stöhnend sank Juliane auf ihre Pritsche. Irgendwann nach dem Frühstück hatte sich der Wahnsinn ihrer bemächtigt. Zumindest vermutete sie das rückblickend. Brack und Aran hatten sich gegenseitig zu einem spielerischen Zweikampf herausgefordert. Juliane erbot sich übermütig, als Schiedsrichterin zu fungieren, doch die beiden hatten sofort entschieden, dass es auch ihr zugutekäme, ein wenig zu trainieren. So geriet sie unversehens in die Fänge zweier Mittelalter-Terminatoren. Erst als sie sich kaum mehr in der Lage sah, die Arme zu heben, entließen Brack und Aran sie aus ihren Klauen. Sie erlaubten ihr, die beiden auf einem Felsen hockend zu beobachten, wie sie miteinander fochten.
Unfairerweise erschöpfte dieses Spezialtraining einzig sie. Brack und Aran hatten sie feixend entlassen, um sich auszuruhen, während die beiden nicht sonderlich ermüdet wirkten. Juliane hingegen schleppte sich mit letzter Kraft in ihre Kammer. Sie entschied, ein Nickerchen zu wagen, ehe die Glocke zum Mittagessen rufen würde.
Der Mann hockte zusammen mit einem Hauptmann der Todesreiter hinter einigen Felsen und beobachtete den Höhleneingang. Beide Männer fixierten den Ort mit grimmiger Entschlossenheit. In ihnen existierten weder Mitleid noch Verständnis.
»Diese Maßnahme war lange überfällig«, sagte der Hauptmann. »Seid Ihr sicher, dass niemand Eure wahre Identität kennt?«
Corvus, der sich den Rebellen als Crom vorgestellt hatte, warf dem Hauptmann einen eisigen Blick zu. Doch das sollte nur die Unsicherheit Croms kaschieren. Überdeutlich konnte Juliane die Gedanken und Gefühle des Verräters lesen.
Tatsächlich hatte er die Blicke des Halbblutes bemerkt. Zwar kannte er ihn nicht, doch das hatte nichts zu sagen. Zu viele dieser dreckigen Morvannen hatte er ins Jenseits befördert, als dass er sich an alle Gesichter erinnern konnte. Das Halblut konnte ein Überlebender oder aber ein Abkömmling aus einer dieser ekelhaften Mischpartnerschaften sein.
»Kloob hat mich hierfür ausgewählt, weil niemand mehr am Leben ist, der mich erkennen könnte, Hauptmann Skale«, behauptete er allzu selbstsicher. Crom sah zur Höhle hinunter. »Seht Ihr diesen Jungen, Skale?«
Eben trat Aran aus dem Höhlenlabyrinth und streckte seine Glieder. Dann begann er, seine Muskeln zu dehnen und einige akrobatische Übungen zu vollführen. Als spürte er, dass er beobachtet wurde, hielt er inne und blickte genau in ihre Richtung. Die beiden duckten sich schnell.
»Wer ist das?«, wollte Hauptmann Skale wissen.
»Sein Name ist Aran. Er ist mit der Auserwählten und der Hexe hier angekommen. Sie trafen ihn im Morvannental, und wie Ihr seht, ist er ein Morvanne.« Die letzten Wörter spuckte Crom aus, als wäre es etwas Ekelhaftes.
Julianes Magen
Weitere Kostenlose Bücher