Der Zauberspiegel
können. Mitleid? War es das? Er verschränkte die Arme vor der Brust, als schützte ihn das vor dieser fast vergessenen Empfindung.
Er verfolgte die Szene weiter. Zu seinem Erstaunen setzte sich Königin Elyna neben die einfache Frau und tröstete sie.
Moira bahnte sich ihren Weg durch die umstehenden Gefährten und berührte Karas Schulter. Sie flüsterte mit der Frau und diese hob ihren tränenverschleierten Blick, um Moira ins Gesicht zu sehen. Die Zauberin redete mit singender, seltsam tonloser Stimme auf sie ein. Mit Worten in einer Sprache, so alt und mächtig, dass niemand sie verstehen, geschweige denn sprechen konnte. Es waren Formulierungen aus der Zeit der Morgendämmerung, einer Zeit, als die Feen und Drachen unter den Menschen wandelten.
Karas Lider flatterten, als bereitete es ihr Mühe, ihre Augen offen zu halten, ihr Kopf sank auf die Brust und ihr Körper erschlaffte. Eine der Frauen nahm den kleinen Jungen auf den Arm, ehe Kara zusammensackte. Ein Rebell hob die Frau hoch.
»Sie wird bis morgen früh tief und fest schlafen«, erklärte Moira und streichelte dem kleinen Jungen über die Wange.
Fröhliches Geplapper erfüllte die Höhle. Die Rebellen saßen an den langen Tischen und ließen sich das Abendessen schmecken.
Kalira, Juliane, Moira, Ranon und er hatten zusammen mit Elyna, Rael, Dengar und Trian an einem der Tische im hinteren Bereich Platz genommen. Während die anderen von ihren Abenteuern im Morvannental erzählten, saß Aran gedankenversunken vor seiner Suppe. »Dieser Mann dort«, unterbrach er das Gespräch. »Wer ist das?« Er deutete mit einem Kopfnicken auf den Mann mit den hinterhältigen Augen.
»Das ist Crom, ein Vagabund. Trian und ich haben ihn vor einigen Todesreitern gerettet und hergebracht«, erklärte Dengar bereitwillig. Ausführlich erzählte er, wo und wie sie Crom kennengelernt und gerettet hatten, doch Aran hörte nur noch mit halbem Ohr zu.
Misstrauisch beäugte er den angeblichen Reisenden. Crom wirkte wohlgenährt und gesund. Das fahrende Volk, mit dem Aran vor Jahren herumgezogen war, hatte selbst in guten Zeiten mindestens Zeichen früherer Entbehrungen gezeigt. Nachdenklich schüttelte er leicht den Kopf. Crom irritierte ihn. Erinnerte ihn an jemanden, den er vor langer Zeit einmal gesehen oder kennengelernt hatte.
Resigniert ließ er den Gedanken ruhen. Im Augenblick wollte es ihm nicht einfallen. Er wandte sich den Gesprächen der anderen zu.
*
Aufatmend sah sich Juliane in der kargen Kammer um, die sie ihr Eigen nennen durfte. Ein Bett und die Kommode waren alles, womit der Raum möbliert war, aber mehr brauchte sie auch nicht.
An der Wand brannte eine Fackel und erhellte mit ihrem unruhigen Schein das Schlafgemach. Sie zog die oberste Schublade auf und holte sich das grobleinene Nachthemd heraus, das man für sie bereitgelegt hatte.
Kalira steckte den Kopf herein. »Darf ich reinkommen?«
Juliane grinste. »Natürlich.«
Kalira setzte sich auf das Bett. Sie schien vor Neugier schier zu platzen und konnte sich kaum bezähmen, ihren Bericht loszuwerden. Es war kein bisschen anders als mit ihren leiblichen Schwestern, Michaela und Constanze. Vor Schreck biss sie sich auf die Zunge. Himmel, an die beiden hatte sie … eine Unendlichkeit nicht gedacht. Ob das die Reise durch den Spiegel mit sich brachte … dass man vergaß, was hinter einem lag? Sie legte ein Lächeln auf. »Was gibt es zu erzählen?«
Kalira schüttelte ihre roten Locken und klopfte auf die Matratze. »Setz dich zu mir. Ich möchte nicht laut sprechen.«
Juliane ließ sich neben ihr nieder, Kaliras grüne Augen funkelten aufgeregt. »Ich vertraue dir ein Geheimnis an.«
»Lass hören, du machst mich richtig neugierig.«
»Meine Mutter hat mir heute das Geheimnis ihrer Herkunft anvertraut«, begann Kalira. »Sie hat mir und allen anderen gegenüber stets behauptet, eine Herzogstochter aus dem Grenzgebiet Khkiras zu sein.«
»Was ist Khkira?«
Aus ihrer Erzählung gerissen, blinzelte Kalira ein paar Mal, ehe sie antwortete. »Kurz gesagt das Amazonenreich. Unter der Drachentochter Zadieyek war es der Erzfeind Goryydons«, erklärte Kalira.
Noch einmal hielt Juliane ihre Freundin von der Fortsetzung ihrer Geschichte ab. »In Ordnung, klärst du mich kurz über diese ganzen Zusammenhänge auf?« Wie immer, wenn Zadieyeks Name zur Sprache kam, erfasste Juliane Aufregung.
»Unter der Herrschaft Zadieyeks galten die Männer in Khkira nicht mehr als materieller
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