Der Zauberspiegel
Kuri setzten sich hinter den Karren. Juliane verspeiste mit Heißhunger Brot und Fleisch, ohne ein Wort zu verlieren.
Seufzend wischte sie sich die Hände an der Hose ab, nachdem sie den letzten Bissen hinuntergeschluckt hatte. »Vielen Dank, das war nötig.« Sie wischte die Krümel von ihren Händen und dem Hemd.
»Und jetzt erzähle, was ist passiert?«, bat Kuri.
Juliane zögerte. Wenn sie erzählte, dass sie sich versteckt gehalten hatte, würde Kuri sie für einen Feigling halten. »Da gibt es nicht viel zu erzählen. Außer Ranon und mir sind alle tot. Zwei Soldaten kehrten zurück und einen der beiden musste … musste ich in Notwehr töten.« Das Scheunentor öffnete sich und sie zuckte zusammen.
Kuri legte beschwichtigend die Hand auf ihren Unterarm. »Keine Angst, das ist mein Mann. Vertrau ihm.«
Vendell. Der Bauer besaß ein freundliches, wettergegerbtes Gesicht und große, schwielige Hände. Er ließ sich nieder und musterte Juliane mit Erstaunen.
»Ich dachte, du wärst älter«, erklärte er. »Nach den Geschichten, die die Schwarzen verbreiten, erwartete ich eine gefährliche Amazone.«
»Mir scheint, die Wahrheit und die Todesreiter sind nicht gerade die besten Freunde«, bemerkte Juliane trocken.
Der Mann lachte und das Lachen kam tief aus seinem Bauch. »Da könntest du recht haben.«
Die Bedeutung von Vendells Worten wurde ihr bewusst. Ihre Kehle fühlte sich mit einem Mal staubtrocken an und ihr wurde schwindlig. »Was meinst du damit, sie halten mich für eine Amazone?«
Vendell hob entschuldigend die Hände. »Sie suchen nach einer gefährlichen Vagabundin, die Yorim und seine Familie im Schlaf ermordete. Die Schwarzen behaupten, diese junge Frau gäbe sich als Auserwählte aus.«
Juliane räusperte sich erfolglos und spürte die Panik durch ihren Körper toben. Also wussten die Todesreiter von ihr und der Rolle, die ihr Alys und Ranon zugedachten.
Kuri schien ihr Unbehagen zu spüren und berührte sie mitfühlend am Oberarm. »Wir haben das Symbol auf deiner Hand gesehen. Vendell und ich beschützen dich mit unserem Leben, wenn es sein muss«, versprach sie.
Wieder waren Menschen bereit, für sie zu sterben. Warum nur? Was erwartete man von ihr? Was zur Hölle stellte sie dar, dass alle so wild darauf waren, sie zu beschützen? Die Angst wollte sie erneut überwältigen. Sie hatte langsam das Gefühl, nur noch Angst, Entsetzen und Misstrauen empfinden zu können. Sie zwang ihre Emotionen nieder und wechselte das Thema. »Weshalb nennt ihr die Todesreiter Schwarze?«
Kuri verzog das Gesicht und Vendell räusperte sich. »Manche haben Angst, ihren Namen auszusprechen. Das abergläubische Volk fürchtet, es würde sie herbeirufen. Also begann man, sie nach der Farbe ihrer Rüstung zu nennen. Die Schwarzen.« Er schluckte und musterte einen Moment seine Fingernägel. »Versteh mich bitte nicht falsch. Wir hassen die Todesreiter, aber wir müssen dich bitten, den Hof noch heute Nacht zu verlassen«, sagte Vendell und er klang bedrückt. »Sie haben gedroht, jedes Gehöft in dieser Gegend nach dir zu durchsuchen. Und jeder, der dir Unterschlupf gewährt, wird mit seinem Leben bezahlen.«
Juliane fröstelte und hätte am liebsten laut geschrien und um sich geschlagen. Niemand sollte sterben. Wirklich niemand! »Keine Sorge, ich hatte ohnehin vor, so schnell wie möglich aufzubrechen.«
»Hier, dein Proviant und ein Wasserschlauch.« Kuri reichte ihr beides. Unter ihrer Schürze zog sie ein Messer mit einer langen Klinge hervor. »Das Messer wirst du brauchen können.«
»Danke«, murmelte Juliane. Sie drehte das Messer hin und her, ehe sie es in ihren Gürtel steckte.
»Komm mit, Vendell hat ein Pferd für dich.«
Juliane starrte Kuri an. »Ein Pferd?«
Kuri lächelte. »Du musst schnell in die Berge gelangen. Die Herbststürme können gefährlich sein und kalt. In den Satteltaschen wirst du einen Umhang finden.«
Kuri schob Juliane ins Freie. Draußen war es dunkel. Der Mond spendete nicht sehr viel Licht. Ein leises Wiehern war zu hören. Vendell kam um die Scheune herum. Er führte ein grau-weißes Pferd mit schlanken Fesseln hinter sich her. Vendell drückte Juliane die Zügel des Schimmels in die Hand.
»Vendell, das kann ich nicht annehmen.«
»Doch, selbstverständlich kannst du das«, erwiderte der Bauer mit fester Stimme, was deutlich machte, dass er keinen Widerspruch dulden würde. Sie nickte. Dankbarkeit erfüllte sie wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Die
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