Der Zauberspiegel
beiden ihr Unbekannten hatten kaum etwas und gaben ihr so viel. »Ich stehe in eurer Schuld. Lebt wohl.«
Sie steckte die Wasserflasche und den Proviantbeutel in die Satteltaschen des Pferdes und schwang sich in den Sattel.
4. Kapitel – Die Rebellen
F röstelnd zog Juliane die Kapuze ihres Umhangs hoch. Es war kühl geworden und die Luft roch nach Regen. Hier, am Fuße der Berge, war das Klima viel rauer als im Landesinneren. Sie konnte kaum glauben, dass sie es endlich geschafft hatte. Aus Angst vor den Soldaten hatte sie um jedes Dorf und jede menschliche Behausung einen großen Bogen geschlagen und versucht, sich so unauffällig wie möglich zu verhalten. Sie gönnte sich und ihrem Pferd nur die nötigsten Ruhepausen und ritt oft ganze Nächte durch, um ihr Ziel, die Blauen Berge, schnell zu erreichen. Je näher sie dem Gebirge gekommen war, desto weniger Soldaten hatte sie gesehen.
Das lag vermutlich daran, dass es in den Bergen keine Menschen gab, die sie quälen konnten.
Sie war nicht sicher, ob es sich als gute Idee erweisen würde, zu den Rebellen zu gehen. Schließlich wollte sie den Todesreitern entkommen und sich nicht mit ihnen herumschlagen, denn wenn die Rebellen das Zeichen der Sonne bemerkten, würde man ihr dies gewiss nicht zugestehen. Garantiert gab es eine weitere blöde Prophezeiung, eine Aufgabe, die Juliane zu erfüllen hatte.
Achselzuckend trieb sie ihr Pferd weiter. Sie hatte nicht viele Möglichkeiten, wollte sie in dieser Welt überleben.
Wehmütig blickte Juliane zurück und starrte zwischen den Bäumen auf die dahinterliegende Landschaft. Es könnte so schön sein. Das Land schien fruchtbar und die Leute fleißig und bescheiden. Niemand in Goryydon brauchte Hunger leiden, niemand müsste in Furcht leben. Vorausgesetzt, der wahre König und seine Familie waren bessere Menschen als Kloob und seine Schergen.
Erfahrungsgemäß neigten die Menschen dazu, die Vergangenheit zu beschönigen. Wer sagte, dass es hier nicht genauso war?
Juliane unterbrach ihre Gedankengänge, hob ihre klammen Finger an die Lippen und hauchte sie an, um für einen Augenblick die Kälte zu vertreiben. Sie hatte ihre Hände mit Stofffetzen umwickelt, um das Mal zu verdecken. Die Feuchtigkeit durchdrang mühelos ihre Kleider und kroch in ihre Glieder. Zitternd beschloss sie, vom Pferd zu steigen und weiter zu gehen, um sich aufzuwärmen und Staubwolke zu schonen. Sie lächelte dem Pferd müde zu und klopfte seinen schweißnassen Hals. Bald würde sie vor den Soldaten in Sicherheit sein …
Irgendwann blieb Staubwolke mit einem protestierenden Wiehern stehen. Weder mit gutem Zureden noch mit Ziehen gelang es Juliane, das Tier zum Weitermarsch zu bewegen. Schließlich gab sie auf, befestigte die Zügel an einem der Bäume und setzte sich auf den Boden. Sie konnte das Bedürfnis des Tieres nach Ruhe und Erholung nur zu gut verstehen. Auch sie hatte ihre Kräfte längst verbraucht und war froh über eine kleine Ruhepause. Nur wenige Augenblicke, nachdem sie sich gesetzt hatte, nickte sie ein.
Als sie wieder erwachte, fühlte sie sich noch erschöpfter als zuvor. Unbeholfen erhob sie sich und machte die Zügel ihres Pferdes los. Sie schwang sich in den Sattel und trieb das Tier an. Juliane wusste nicht, wie lange sie geschlafen hatte, doch durch das Blätterdach sah sie, dass der Himmel eine bleigraue Farbe angenommen hatte. Ein eisiger Wind strich durch das Unterholz. Sie rieb sich über ihre brennenden Augen und blickte auf die Berglandschaft vor sich.
Die Bäume wuchsen spärlicher, hie und da ragte ein Dornengestrüpp aus dem Boden. Weiter oben in den Bergen gediehen nur noch Buschwerk und widerstandsfähiges, hartes Gras.
Ein heftiger Windstoß trieb ihr Tränen in die Augen. Fast gleichzeitig verdunkelte sich der Himmel und aus der Ferne drang Donnergrollen. Erschrocken fuhr sie zusammen. Kuri und Vendell hatten sie vor den Herbststürmen gewarnt, ihr aber versichert, sie würde rechtzeitig in die Berge gelangen. Die beiden hatten sich offensichtlich geirrt. Sich während eines solchen Sturmes in den Bergen aufzuhalten, erwies sich als gefährlich. Die Winde waren heftig und unberechenbar. Häufig dauerten diese Gewitter mehrere Stunden an. Sie hoffte, dass der Ausbruch der Herbststürme nicht ausgerechnet jetzt begann. Prüfend beobachtete sie das Firmament und fluchte leise. Der Himmel nahm jene charakteristische violette Färbung an, von der ihr Vendell erzählt hatte. Damit stand fest,
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