Der Zauberspiegel
einigen Freunden hier Zuflucht fanden, war ich sieben Sommer alt.«
Juliane fiel ihr Traum über die Verzauberung der Frau aus dem Zug ein. »Haben euch die Diener bei der Flucht geholfen?«
»Ja, woher weißt du das?« Kalira warf ihr einen neugierigen Blick zu.
»Ich habe davon geträumt.«
Sie liefen weiter. Die Schritte hallten dumpf vom Boden wider, von irgendwoher drangen Stimmen. Die muffige Luft wurde langsam frischer und kälter und Juliane ahnte, dass sie sich dem Ausgang näherten.
»Hast du öfter solche Träume?«, fragte Kalira interessiert.
Dass Kalira so unbefangen reagierte, erleichterte Juliane. Unbewusst hatte sie eine Reaktion befürchtet, wie sie in ihrer Herkunftswelt zu erwarten war: Unverständnis, Angst oder Verachtung. Das furchtsame Klopfen ihres Herzens in Gedanken an ihre wirren und verängstigenden Träume verstummte. »Manchmal«, gab Juliane zu.
Die Stimmen wurden lauter und deutlicher. Durch den Widerhall, den die Felswände erzeugten, klangen die Laute hohl und unheimlich.
»Wir werden gleich in der großen Halle sein«, erklärte Kalira.
»Und ich sage dir, das ist ein Zeichen«, donnerte eine Männerstimme.
»Rael, sie ist noch ein halbes Kind, jünger noch als Kalira! Wenn es nur ein Zufall ist?«, beschwichtige eine Stimme, die Juliane Elyna zuordnete. »Es könnte eine Falle Kloobs sein«, stellte eine zweite männliche Stimme nüchtern fest.
»Und wenn nicht, ist die Freiheit endlich zum Greifen nah!« Elynas Stimme zitterte.
Gott, es war ihr so unangenehm, dass sie wieder über sie redeten. Sie war weder ein Spion noch die Rettung, aber niemand schien das zu begreifen.
Der Gang öffnete sich zu einer geräumigen Halle. In einer Ecke des Saales befand sich eine riesige Kochstelle. Ein Feuer prasselte und brachte den Inhalt des darüber hängenden Kessels zum Blubbern. Neben der Feuerstelle stand ein Tisch, über dem verschiedene Küchengeräte an der Wand hingen.
In einer dunklen Nische neben der Kochstelle hantierte eine Gestalt. In einer anderen Ecke des Saals lagen diverse Waffen; darunter Schwerter, Dolche, Speere und Armbrüste. Die Halle wurde von etlichen Fackeln beleuchtet, die an den Wänden befestigt waren.
In der Mitte des großen Raumes thronte ein gewaltiger Tisch, an dessen Kopfende drei Personen saßen: Elyna, ein hagerer, hochgewachsener Mann mit blondem Haar und Schnurrbart und ein zweiter, älterer Mann mit Hakennase.
Als Elyna Juliane entdeckte, nahm ihre Miene den Ausdruck von Besorgnis an. »Was machst du hier, du solltest im Bett sein.« Sie sprang auf und eilte ihr entgegen.
»Ich wollte an die frische Luft.« Ihre Antwort klang beinahe trotzig. Zu Hause meldete sich dieser Trotz stets zu Wort, wenn man sie wie ein kleines Kind behandeln wollte, als wäre sie nicht fähig, selbst zu entscheiden, was gut für sie war oder eben nicht. Überrascht, dass diese Seite ausgerechnet hier und heute hervorbrechen wollte und zugleich nicht gewillt, Elyna, die sich ehrliche Sorgen um sie zu machen schien, zu verletzen, biss sie sich auf die Lippe. Dieses widerborstige, ständig schlecht gelaunte Mädchen war und wollte sie nicht mehr sein.
»Nun gut«, erklärte Elyna mit einem Lächeln, als hätte sie Julianes Überlegungen gelauscht. »Wenn du schon da bist, stelle ich dir Rael und Torus vor.«
Der blonde Rael musterte sie abschätzend, aber nicht unfreundlich. Er war, wie Juliane erfuhr, der Anführer der Rebellen, Elynas engster Vertrauter und Ranons Vater. Torus, der zweite im Bunde, begrüßte Juliane herzlich.
»Ich möchte mich dafür bedanken, dass ihr mich gerettet habt«, wandte sie sich an Torus, der mit seinen freundlichen Augen und seiner herzlichen Art um Welten zugänglicher wirkte als Rael. Dieser musterte sie scharf und verriet allein durch seine Blicke, dass er Juliane misstraute.
»Man hat dir genug Vertrauen geschenkt, um dir unser Versteck zu verraten«, mischte sich Rael ein.
»Ranon hat sie hergeschickt«, warf Torus ein. Ranon hatte schon immer ein feines Gespür für Situationen und Menschen.
Interessiert betrachtete Juliane Torus. Ranon galt also etwas bei den Rebellen. Das konnte für sie von Vorteil sein, überlegte Juliane pragmatisch.
Rael nickte brüsk. »Ranon ist nicht unfehlbar.«
Wenigstens ein Mensch, den der perfekte Ranon nicht blenden kann , streifte Juliane ein weiterer Gedanke. Überrascht sah sie zu ihrer Freundin. Kaliras Miene wirkte düster, dann fing sie sich und lächelte Juliane aufmunternd
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