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Der Zauberspiegel

Der Zauberspiegel

Titel: Der Zauberspiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Carver
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zutreten konnte, der sich vor ihnen auftat.
    Unter ihnen erstreckte sich ein weites Tal. Der größte Teil der Landschaft bestand aus dichten Wäldern, deren grüne Wipfel vom Wind hin und her bewegt wurden wie Wellen in einem grünen Meer. Juliane konnte keine menschlichen Behausungen ausmachen. Die untergehende Sonne wies Juliane die westliche Himmelsrichtung und sie bewunderte das Farbenspiel des tiefen Orangerots am eisgrauen Himmel.
    »Das ist herrlich! Wie hast du diesen Ort gefunden?«
    »Durch Zufall. Ich wollte vor ein paar Jahren davonlaufen. Soweit ist es nie gekommen, aber ich entdeckte diesen Aussichtspunkt. Seitdem komme ich immer hierher, wenn ich in derselben Stimmung bin wie du jetzt.«
    Eisige Windböen pfiffen an ihnen vorbei in den Tunnel. Julianes Ohren und Hände verloren bei diesen Temperaturen rasch jedes Gefühl. Kälte und Wind lösten Kribbeln und Schmerz auf ihrer Haut aus, doch sie verharrte neben Kalira, der offenbar weder Böen noch Temperatur zu schaffen machten. Schweigend genossen sie den Ausblick eine ganze Weile, ehe sie umkehrten.
    »Wie heißt das Tal?«
    »Das ist das Morvannental. Dort wird auch Moira gefangen gehalten«, erklärte Kalira und kickte einen Kiesel fort.
    »Ihr redet immer wieder von Moira. Wer ist das?«
    »Moira?« Kalira starrte gedankenverloren auf ihre Füße. »Sie ist eine weise Frau.«
    »Weise und … weiß?« In Julianes Erinnerung schlich sich das Bild einer seltsam gekleideten Frau mit weißblondem Haar und in weißen Gewändern. Moira musste die Frau aus dem Zug sein. Die Frau, die in ihrem Traum von dem schwarzen Mann verzaubert wurde.
    »Eine Zauberin. Du würdest sie mögen.« Kalira seufzte. »Ich vermisse sie sehr. Sie fehlt uns allen.«
    »Eine Zauberin? Heißt das, sie zaubert Kaninchen aus einem Hut hervor?«
    Kalira blickte auf und lachte. »Das sind Jahrmarktstricks. Das machen nur Gaukler. Moiras Zauberkunst ist anders. Sie sieht Dinge bevor sie geschehen. Sie spricht mit den Elementen und beherrscht den Heilzauber.«
    Eine echte Zauberin wie aus einem Märchen. Ob sie ihr beibringen konnte, ihre eigene Gabe zu beherrschen? Sie öffnete den Mund, schloss ihn aber gleich wieder. Nein, sie war jetzt schon seltsam genug. Sie wollte nicht Kaliras Entsetzen und Abscheu sehen, wenn sie ihr von der Gedankensache erzählte. Vielleicht verlöre sie damit Kaliras Freundschaft.
    Kaliras Miene verdüsterte sich und sie schwieg eine Weile. »Es macht mich krank, zu wissen, dass sie irgendwo dort unten von diesen Teufeln gefangen gehalten wird.« Es wäre einfacher für uns, wenn die Schwarzen sie irgendwo in Goryydon gefangen hielten. Sogar in der Burg bei Kloob wäre es unproblematischer. Dann könnte Moira sich vielleicht selbst befreien, aber im Morvannental wird ihre Kraft verringert. Wahrscheinlich ebenfalls ein Werk der morvannischen Magie.
    »Was ist mit den Morvannen? Sie leben doch im Tal, oder?« Juliane hoffte, ihre Freundin auf andere Gedanken zu bringen.
    »Ja. Sie sind ein seltsames Völkchen und sehr naturverbunden. Einige von ihnen haben große magische Fähigkeiten. Ihre Dörfer werden von einer geheimnisvollen Macht geschützt. Es heißt, es sei nicht möglich, tief in die Wälder vorzudringen.« Kalira wechselte das Thema. »Hat man dir schon gesagt, dass du Unterricht im Schwertkampf erhalten sollst?«
    Juliane blieb abrupt stehen. Wie hatte sie nur glauben können, dass es vorbei wäre? Dass das Töten ein Ende gefunden hatte? Natürlich würde es weitergehen, wahrscheinlich immer und ewig. Und sie, sie sollte mittöten. Ein Rebell tötete einen Soldaten, ein Soldat einen Rebell.
    Tief aus ihrem Inneren stiegen die Erinnerungen auf: Sie sah den Todesreiter vor sich, erinnerte sich, wie sie den Dolch in seine Kehle gestoßen hatte, in ihren Ohren dröhnte sein Gurgeln und Ächzen. Der warme, metallische Geruch des Blutes füllte ihre Nasenflügel.
    Juliane hatte nicht gewusst, dass so viel Zorn und Grausamkeit in ihr steckten. Sie hatte ihn mit einer Gleichgültigkeit getötet, die sie jetzt entsetzte.
    Sie rutschte an der Felswand hinunter, lehnte sich gegen den kalten Stein und starrte auf die Wand vor sich. Nach der ersten Schrecksekunde kniete sich Kalira neben sie und zog sie an sich, als ahnte sie, was in Juliane vorging. Lange saßen die beiden so beisammen, ehe sie sich wieder in der Lage sah zu sprechen.
    »Ich musste noch nie zuvor einen Menschen töten. Es war so … einfach. Ich kann nicht glauben, dass ich das getan

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