Der Zauberspiegel
Juliane hinüberbeugte.
Sie hatte die beiden fliehenden Todesreiter schon eine ganze Weile verfolgt, ohne die Männer einzuholen. Die Soldaten kannten die Gegend besser, hatten erholte Pferde und obendrein einen Vorsprung. Juliane hätte heulen können vor Wut. »Was soll das?«, fragte sie. Entsetzen wühlte sich durch ihren Bauch. »Ihr wollt Kalira doch nicht im Stich lassen?«
Ranon schüttelte den Kopf. »Aber nein.«
»Kommt«, drängte Torus. »Lasst uns im Dickicht verschwinden!« Sie lenkten ihre Pferde hinein ins Unterholz, bis sie schließlich gut verborgen im dichten Gestrüpp lauerten. Unsichtbar für alle, die des Weges kommen würden.
»Dort vorn lichtet sich der Wald. Da muss das Lager der Todesreiter sein. Wir können es nicht zu dritt gegen alle Schwarzen aufnehmen«, erklärte Torus.
Juliane rang die Furcht um Kalira nieder und konzentrierte sich auf Torus. »Was wollen wir also unternehmen?«
»Wir brauchen einen Plan«, stellte der Anführer fest.
*
Bewegungslos lag Kalira über dem Rücken des Pferdes. Der Sattelknauf drückte sich schmerzhaft in ihre rechte Seite. Den Gedanken, vom Pferd zu springen, hatte sie längst aufgegeben. Selbst wenn es ihr gelingen würde, wäre eine Flucht unmöglich, die Krieger hätten sie sofort wieder eingeholt.
Kurze Zeit später erreichten sie ein Lager. Als Kalira die Lichtung überblickte, hoffte sie, dass ihre Freunde keinesfalls so waghalsig waren, einen Befreiungsversuch zu unternehmen. Sie hatte mitbekommen, dass die Todesreiter sofort den Rückzug angetreten hatten, als sie Kalira überwältigt hatten. Die Hand ihres Entführers hielt sie am Gürtel fest. Ein Entkommen war unmöglich. Panik wallte durch ihren Körper. Sie war in den Händen ihrer schlimmsten Feinde.
Die Zelte, die sich um ein großes Lagerfeuer in der Mitte des Platzes gruppierten, boten Schlafgelegenheiten für je mindestens fünf Mann. Einige Soldaten patrouillierten an den Rändern des Camps, viele weitere hielten sich sicherlich in den Zelten auf. Vor einigen Zelten saßen Soldaten und kümmerten sich um ihre Ausrüstung. Einige flickten und putzten das Sattelzeug, andere brachten ihre Waffen auf Vordermann. Dazu kam noch eine Gruppe Krieger, die in einfachen Hosen und Hemden bei den Pferdeumzäunungen trainierten.
Auf den ersten Blick entdeckte Kalira rund dreißig Mann. Dazu dann die Schlafenden, diejenigen auf Erkundungstour und die, die sich in dem noblen Zelt vor ihr aufhielten. Wie es aussah, das Quartier oder Kommandozelt des Lageranführers.
Ihr Geiselnehmer hielt sein Pferd vor dem größten Zelt an und nickte den bulligen Wachen zu, die den Eingang flankierten.
»Hauptmann Djerk, schon zurück? Und erfolgreich, wie ich sehe«, knarzte eine unangenehme Stimme. Ein Mann schlug den Vorhang beiseite und trat aus dem Zelt. Er trug wie alle anderen die Rüstung der Soldaten, hielt den Helm jedoch unter seinem Arm eingeklemmt. Er nickte dem Hauptmann zu und ging davon.
Djerk stieg ab und stieß Kalira grob vom Pferd. Sie verlor beinahe das Gleichgewicht und packte das Tier bei der Mähne, um ihren Halt wiederzufinden. Verstohlen tastete sie nach ihrem Schwert, natürlich war es nicht mehr da.
Djerk reichte einer der Wachen die Zügel seines Pferdes und zwang Kalira mit derben Stößen ins Innere des Zeltes.
An der Zeltwand waren zwei Stoffbahnen hochgeschlagen, um im Raum Licht zu verbreiten. In der Mitte stand eine dünne Holzstange, um die schwere Zeltplane zusätzlich zu stützen.
Ein riesiges Schlaflager aus Fellen und Decken war auf der anderen Seite aufgeschlagen. An dem improvisierten Bett lehnte ein großes, breitschneidiges Schwert, mit dem es eine Leichtigkeit wäre, die Stange zu zerschlagen und das ganze Zelt in sich zusammenstürzen zu lassen.
In der anderen Ecke des Raumes lauerte ein glatzköpfiger Mann. Er mutete klein an, war aber so eckig, dass er in seiner schwarzen Rüstung wie ein zu groß geratener Gnom wirkte.
»Wie schön, dass ich Euch endlich kennenlerne, Prinzessin«, sagte der Glatzköpfige mit eigenartig hoher, lispelnder Stimme.
Kalira war ihm noch nie begegnet. Doch sie kannte die Geschichten um den lispelnden General Iorgen. Eine besonders gruslige erzählte davon, wie er einem Spötter das Herz mit bloßer Hand herausgerissen hatte.
»Auf dieses Vergnügen hätte ich gern verzichtet. Was wollt Ihr von mir?«, entgegnete Kalira. Sie begutachtete ihre Fingernägel und ignorierte das Pochen in ihrer Kehle. Eher legte sie
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