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Der Zauberspiegel

Der Zauberspiegel

Titel: Der Zauberspiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Carver
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geweckt?«
    »Nein, ich hatte ebenfalls einen Albtraum.«
    Der Mond warf seinen silbrigen, kalten Schein auf die Lichtung und tauchte alles in ein geheimnisvolles Licht. »Ich hasse es zu träumen«, sagte Aran. »Man ist ihnen völlig hilflos ausgeliefert.«
    »Ja«, flüsterte Juliane, weil sie verstand, was er meinte. »Ich habe seit frühester Kindheit Albträume. Trotzdem fühle ich mich jedes Mal erneut hilflos und entsetzt.«
    Gedankenverloren blickte sie in den Sternenhimmel und begann wehmütig zu lächeln. Sie streckte ihren Arm aus. »Siehst du diesen Stern dort?«, sagte sie und sah kurz zu Aran. Er nickte. »Das ist meiner.«
    Aran deutete auf einen Stern nördlich von ihrem. »Siehst du diesen hellen dort? Das ist meiner«, erwiderte Aran heiser.
    Sie sahen sich verwundert an.
    »Wenn du allein und traurig bist und niemand da ist, der dich trösten kann, dann suche dir den Stern am Himmel …«, begann Juliane.
    »… der dir am besten gefällt und stell dir vor, er wäre dein Freund«, beendete Aran den Satz.
    Sie musterten sich. Konnte ein Mensch einem anderen so ähnlich sein?
    Aran streckte seine Hand aus und strich die Haare aus ihrem Gesicht. Einen Moment ruhte seine Hand auf ihrer Wange, und als er sie fortnehmen wollte, hielt Juliane ihn mit sanftem Griff fest. Lange saßen sie so da und blickten sich an. Sie fühlte die silberne Schnur zwischen ihnen. Machtvoll summend schwang sie in der Luft und verband ihre Herzen und ihre Seelen. Juliane empfand absolute Vollkommenheit. Es raubte ihr schier den Atem, und sie sah Aran an, dass es ihm genauso erging.
     
    *
     
    »Fühlst du es auch?«, hauchte Juliane.
    »Die silberne Schnur?«, fragte Aran zärtlich, während er dachte, dass ihre hellblauen Augen die schönsten waren, die er je gesehen hatte.
    Juliane nickte.
    Aran spürte, wie alle Mauern, hinter denen er seine Seele versteckte, zerbröckelten. Mit plötzlichem Erschrecken erkannte er die Verletzlichkeit seines Herzens. Er durfte nicht zulassen, dass er erneut empfänglich wurde für Schmerz, Angst und Trauer. Er wollte nicht noch einmal einen Menschen verlieren, den er liebte. Lieber für alle Zeiten einsam, als noch einmal diesen Schmerz zu fühlen. »Juliane«, sagte er mühsam beherrscht. Er nahm seine Hand fort und ihm bereitete diese einfache Geste mehr Anstrengungen als erwartet. »Wir sollten schlafen.«
    Juliane riss die Augen auf. Sie konnte seine Panik fühlen, er sah es ihr deutlich an. »Aran, was ist los?« Sie legte ihre Hand auf die seine. Er entzog sich ihrem Griff und wandte sich ab.
    »Halte dich in Zukunft von mir fern«, sagte er tonlos.
    »Aber wieso, ich dachte …«
    Aran unterbrach sie und sah sie mit düsterer Miene an. »Hast du nicht gehört? Halte dich von mir fern!« Sein Innerstes, eben noch erfüllt von Wärme und Licht, verwandelte sich wieder in den dunklen, schwermütigen Ort, zu dem er es gemacht hatte. »Ich bin verflucht«, gestand er ihr, ohne die Absicht, ihr mehr zu erzählen. Sie hätte es auch nicht verstanden. Hätte nicht begriffen, dass er eine dunkle Seele war, die nach dem Licht gierte und doch von sich stieß, wonach es ihn am meisten verlangte.
    Sie öffnete den Mund, doch als ahnte sie, dass er ihr keine Antwort geben würde, schwieg sie. Dann kehrte sie zu ihren Decken zurück und rollte sich darin ein.
    Aran spürte ihre Trauer über seine Zurückweisung und hörte ihr unterdrücktes Weinen. Sein Herz wog schwer. Er schüttelte den Kopf. Es war besser, sie war enttäuscht, als dass auch noch ihr Tod auf seinem Gewissen lastete.
    »Aran?«, flüsterte sie.
    Natürlich, so leicht gab sie nicht klein bei. Das hatte er befürchtet. Er straffte sich, bereit, Mauern um sich zu errichten, höher und dicker als je zuvor. »Ja?«, erwiderte er angespannt, sich auf eine Szene vorbereitend.
    »Wenn du mich brauchst, werde ich da sein«, sagte sie leise, ohne sich umzudrehen, vermutlich, damit er ihre Tränen nicht sah.
    »Danke, aber das darf nie geschehen«, sagte Aran mit erstickter Stimme. Sie überraschte ihn jedes Mal aufs Neue. Niemals! Niemals werde ich jemandem begegnen, der ihr ähnelt .
    Er spürte ein Ziehen in seinem Inneren und wusste, dass T’Chialla, seine geistige Führerin, ihn rief. Aran schloss die Augen. Nicht jetzt!
     
    Aran hielt sein Versprechen und führte sie die folgenden Tage durch das Morvannental. Nachdem sie entdeckt hatten, dass der Zauber der Wälder sie unberührt ließ, wenn sie ihm dicht auf den Fersen blieben,

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