Der Zauberspiegel
Nervosität in ihrem Inneren niederrang, fragte sie sich, ob ihre Freunde dasselbe fühlten wie sie. Ihr kam es vor, als ständen ihr buchstäblich alle Haare zu Berge. Selbst ihr Herz raste vor Aufregung, sodass sie sein Pochen bis in die Zehenspitzen wahrnahm. »Spürt ihr das auch?«, platzte sie schließlich heraus, als sie den Druck nicht mehr aushielt.
Kalira nickte. »Irgendetwas wird passieren.«
Aran wandte sich Juliane zu. »Ihr braucht euch keine Sorgen zu machen. Ihr spürt die Nähe Moiras.«
»Du meinst, wir sind bald bei ihr?«, fragte Kalira, die Aufregung war ihr anzusehen.
»Wir sind ganz in der Nähe des Lagers, in dem Moira laut Asleenas Karte gefangen gehalten wird.«
Die Sonne stand hoch am Himmel, als Aran sein Pferd anhielt und sich aufmerksam umsah. Er hielt bereits seit Längerem nach möglichen Fluchtwegen und Fallen Ausschau. In diesem Moment erinnerte er sie an ein wildes Tier, das sich schon zu lange auf der Flucht befand, um sich noch irgendwo, irgendwann in Sicherheit zu fühlen.
»Wir sind fast da«, sagte Aran, während er jedes Detail in der Umgebung zu bewerten schien.
»Wo befindet sich das Lager?«, wollte Juliane wissen.
Aran fixierte sie eine Weile schweigend. Vermutlich wägte er ab, was und wie viel er ihr erzählen konnte. Er deutete in den Wald hinein. »Hinter diesen Bäumen«, erwiderte er vage.
»Wir sollten eine Weile rasten«, empfahl Ranon.
Aran stimmte zu. »Wir müssen unsere Kräfte schonen. Und wir sollten das fremde Lager beobachten, um uns über die Vorgehensweise klar zu werden.«
Kalira nickte ohne große Begeisterung. Rastlosigkeit und elektrisches Kribbeln pulsierten in Julianes Körper. Eben noch hatte sie auf der Wiese Platz genommen, da sprang sie auch schon auf und tigerte auf und ab. »Was weißt du über das Lager?«, fragte sie Aran, der sich streckte und seine Muskeln zu lockern versuchte.
»Ich kenne es nicht. Woher auch? Iorgen rechnet ganz sicher mit unserem Erscheinen. Darauf möchte ich wetten. Also ist es vermutlich schwer bewacht«, entgegnete er.
»Einer von uns sollte das Lager vorab erkunden«, schlug Ranon vor.
»Das erledige ich«, rief Juliane.
»Juliane, warte! Verdammt!«
Aran packte sie am Arm. »Ich werde aufpassen«, erklärte sie, streifte seine Hand ab und stiefelte entschlossen in das Unterholz.
Schon wenige Meter später hatte die Wildnis sie verschluckt, doch sie hörte, wie Ranon auflachte, und blieb stehen. Sollte sie lauschen?
»Was für ein Mädchen«, gab Ranon fasziniert von sich. »Als ich sie das erste Mal sah, hielt ich sie für eine Rumtreiberin. Eine Tagträumerin, die es nirgendwo lange aushält, die jegliche Verantwortung scheut.«
»Du spürst es auch, nicht wahr? Juliane hat die Macht, Kloob zu besiegen«, sagte Kalira mit Stolz in der Stimme.
»Sie ist ein Licht in der Dunkelheit«, murmelte Aran, sodass Juliane es nur gerade so verstehen konnte.
»Das ist die richtige Beschreibung für Juliane«, bestätigte Ranon. »Ein Licht in der Dunkelheit.«
Juliane lächelte und lief weiter in den Wald hinein. Stolz erfüllte sie und ein Hauch Verwunderung über ihre Tollkühnheit, freiwillig und allein zum Soldatenlager zu schleichen. Das hätte sie früher nie gewagt. Noch nie zuvor hatte sie sich so stark und mutig empfunden wie in diesem Augenblick. Sie war nicht länger ein unbedeutendes, hilfloses Mädchen, sondern eine Frau, die etwas bewirken und ändern konnte, wenn sie wollte. Sie hatte einen Platz gefunden oder vielmehr Menschen, bei denen sie sich heimisch fühlte. Nach so langer Zeit wusste sie endlich, wohin sie gehörte. Kalira, Ranon und Aran waren ihre Familie, die Freunde, auf die sie immer zählen konnte. Juliane lächelte bei dem Gedanken an die drei. Ihr Gespräch, das sie eben belauschen durfte, beflügelte sie zusätzlich.
Der Wind trug Geräusche und Gerüche aus dem Lager herüber. Sie rümpfte die Nase und näherte sich krabbelnd einem Biwak.
Sie hatte ein sicheres Versteck am Rand des Soldatenlagers gefunden und überblickte abschätzend die Lichtung. Der Gedanke eines Angriffes auf das Lager erstarb schlagartig. Sie entdeckte rund vierzig Soldaten. Dazu kamen sicher genauso viele Krieger, die im Moment in den Zelten schliefen oder die Gegend erkundeten. Juliane fühlte sich, als hätte man ihr einen Fausthieb in den Magen versetzt. Wie sollten sie es auch nur in die Nähe von Moira schaffen? Selbst wenn sie sich mit den Uniformen tarnten. Verfluchter
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