Der Zauderberg
stetig fließt wie das Wasser aus einem Hahn, erinnert Toms Motivation eher an einen Feuerwehrschlauch, als sie denn endlich einsetzt. Obwohl Tom am selben Tag anfängt wie Faulpelz Eddie (die Linie aus Dreiecken), kommt er mit seinem Schlussspurt vermutlich weiter als die beiden anderen.
Aus meinem Schieberlabor
Eddie, Valerie und Tom sind zwar frei erfunden, aber sie vereinen in sich so etwas wie die Essenz aus Tausenden von Studenten, die ich unterrichtet habe. Für jemanden, der Aufschieber in freier Wildbahn beobachten will, gibt es wie gesagt keinen besseren Ort als die Universität. Der Trick besteht darin, all diese vergeudete Motivation vor den Karren der Wissenschaft zu spannen. Ich hatte das große Glück, wissenschaftlicher Assistent von Dr. Thomas Brothen zu sein. Brothen gab ein Seminar zur »Einführung in die Psychologie« am General College der University of Minnesota, einer Einrichtung, die vor allem bildungsferne Schichten erreichen sollte. Das College war eine Fernuniversität, in der Studierende am Computer lernten und ihr Tempo selbst bestimmen konnten – ein System, das Aufschiebern besonders entgegenkommt. Die Aufschieberitis ist ein derart großes Problem, dass die Studierenden im Laufe des Semesters immer wieder vor ihren Gefahren gewarnt werden. Und jetzt kommt das Schöne: Da die Studierenden am Computer arbeiteten, konnten wir auf die Sekunde genau nachvollziehen, wann wer welche Aufgabe erledigte. Besser kann man die Aufschieberitis gar nicht beobachten.
Vor der Schließung des General College beobachteten Brothen und ich einige Hundert Studierende in seinem virtuellen Hörsaal. Unsere Beobachtungen stimmten weitgehend mit den Selbstaussagen der Studierenden überein, was bedeutete, dass wir auf der richtigen Spur waren. Die Aufschieber zeigten die schlechtesten Leistungen und schlossen den Kurs mit größerer Wahrscheinlichkeit nicht ab, was bestätigte, dass ihnen das Aufschieben schadete. Der Grund für ihr Aufschieben war nicht etwa angeborene Faulheit. Im Gegenteil, die Aufschieber begannen mit derselben Absicht, das Kursprogramm zu absolvieren, wie alle anderen. Aber gegen Ende zeigte sich ein anderes Bild. Die Aufschieber arbeiteten plötzlich länger, als sie eigentlich vorgehabt hatten; einer ackerte in der letzten Woche ganze 75 Prozent des Materials durch. Ihr Aufschieben hatte auch nichts mit übertriebenem Leistungsdruck zu tun. Die Gründe für ihr Nichtstun waren vielmehr Impulsivität, ein gewisser Widerwille gegen die Arbeit, die Verfügbarkeit von Ablenkungen und mangelnde Planung. Genau wie in der Aufschiebeformel beschrieben.
Dass die Aufschiebeformel diese Ergebnisse vorwegnimmt, macht sie zu einem so nützlichen Instrument für uns. Den Zusammenhang zwischen Impulsivität und dem Unterschied zwischen Absicht und Handlung haben wir uns bereits angesehen. Die Tatsache, dass wir Arbeit aufschieben, weil wir sie als unangenehm empfinden, demonstriert die Bedeutung des Faktors Wert für unsere Motivation. Die Verfügbarkeit von Ablenkungen unterstreicht die Bedeutung der Zeit. Studierende, die nach eigenen Angaben »sofort angenehmeren Tätigkeiten nachgehen« konnten, wenn sie nicht lernten, oder deren Umgebung zahlreiche Möglichkeiten »zur Freizeitgestaltung, zum Spielen oder Fernsehen« bot, schoben nicht nur häufiger, sondern sehr viel häufiger auf als andere. Bei Eddie, Valerie und Tom musste die Arbeitsmotivation erst größer werden als die Motivation zur Freizeitgestaltung, bevor sie sich an den Schreibtisch setzten. Je leichter verfügbar die Ablenkung, desto größer wird ihr Einfluss auf unsere Entscheidungen und desto größer unsere Neigung zum Aufschieben. Andere Ergebnisse aus unserer Untersuchung am General College, etwa die mangelnde Planung der Studierenden, zeigten uns aber auch, was man gegen die Aufschieberitis unternehmen kann. Mithilfe eines Arbeitskonzepts können wir ferne Abgabetermine in kleine Nahziele herunterbrechen und unsere Impulsivität für unsere Zwecke einspannen. Im weiteren Verlauf des Buches werden wir noch näher darauf eingehen, wie gute Planung aussehen kann. Doch zunächst noch ein letztes Wort zu unserer Untersuchung.
Bei der Auswertung des Arbeitstempos der Studierenden hatte ich eine Eingebung. Ich fragte mich, ob das Arbeitstempo der Kurve entsprechen könnte, die die Aufschiebeformel vorhersagt. Begann es langsam und schnellte gegen Ende in die Höhe wie eine Rakete? Folgte es dem Muster von Eddie, Valerie
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