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Der Zeitläufer

Der Zeitläufer

Titel: Der Zeitläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donald A. Wollheim
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Rorqual Maru. Mahlende Körner aus Olivin und Kalzit verdeckten ihr linkes Auge und versperrten ihr die Sicht zum Himmel. Uranus war dreißigmal durch die Konstellationen marschiert, während die sich ständig verändernden Sandstreifen der Inselstrände langsam ihr Hinterteil begruben. Zweihundert Meter eines schlanken Rumpfes waren unter Palmenleichen und Schlick begraben. Die See hatte von der Rorqual Maru Besitz ergriffen.
    Sie weinte über ihre, verlorenen Jahre. Sie war Herbst ohne Ernte, eine Planktonraufe, die von der Gesellschaft der Erde aufgegeben wurde, als die See starb. Im Meer gab es keine Lebewesen mehr.
    Ihre Schwestern waren da und dort gesunken, und ihre Skelette lagen auf den Meeresböden. Sie hatte diese Insel als Grab gewählt in der Hoffnung, ihr Gerippe möge sichtbar und einer möglichen Rettung zugänglich bleiben.
    Ihr Ohr hörte nichts, doch sie glaubte, daß der Mensch noch immer lebte. Und wenn er je zurückkehrte, dann wollte sie ihm dienen wie vorher. Sie sehnte sich nach menschlichen Fußsohlen auf ihrem Deck, und sie sehnte sich nach dem herzhaften Gepolter, den Flüchen, dem Lachen und dem Schweiß der Männer. Sie brauchte den Menschen.
     
    Die Menschheit litt Hunger und war reglementiert. Der Meeresspiegel sank pro Jahr um einige Zentimeter, und das wirkte sich bei den Ernten aus. Kalorien wurden ebenso zugeteilt wie Wohnraum. Die Statistiken waren hoffnungslos.
    Der nächtliche Himmel wurde von einer glänzenden Meteorbahn durchschnitten. Himmlische Stimmen drangen an das Ohr der Rorqual Maru. Pilzförmige Gebilde aus Plasma breiteten sich im dunklen Ozean aus. Die Rorqual erwachte zu flackerndem Bewußtsein, als Geräusch und Bewegung ihre Sensorschwelle überschritten. Sie begann ihre Flanken aus dem Sandgefängnis zu winden. Ihr Auge schüttelte das blind machende Olivin ab, und nun konnte sie in die Lagune hinaussehen. Das Wasser hatte sich verändert. Das Spektrum meldete das Vorhandensein von Nanoplanktonspuren.
    Sie zog von der Insel weg. Wurzeln und Ranken schnappten, Baumstämme splitterten. Sie gewann die See und trug einen Klumpen Vegetation auf ihrem Rücken mit. Salziger, windverblasener Gischt sprühte durch die Löcher, in denen Wurzeln gewesen waren, und verbrannte ihr die Eingeweide, bis Oxidlagen ihre empfindlichen, bloßliegenden Stromkreise verkrusteten.
    Bebend vor Glück stürzte sie sich in die Wirbel. Im ersten Jahr fingen ihre Filter kaum Verunreinigungen auf, aber ihr Chromatograph identifizierte alle Aminosäuren. Die Proteine waren zum Meer zurückgekehrt.
    Im zweiten Jahr fingen sich an ihren Rechen schon größere Kreaturen – weiche Ruderfußkrebse und Vielfüßler mit bizarren, hauchdünnen Schalen, Pfeilwürmer und Geißeltierchen. Die Erde konnte mit ihrer nächsten Ernte zufrieden sein. Der Mensch würde sich freuen.
     
    In alten Tiefseeruinen gab es da und dort eine Lufttasche. Dort überlebten Nichtbürger, die Benthiks; das waren hominide Seebewohner, die eine vom Schwarm aufgegebene Nische ausfüllten. Sie waren eine finstere, dicknackige Rasse. Der Grundsatz territorialer Integrität bestimmte ihre Kultur. Sie lebten in kleinen Familiengemeinschaften, durch Meilen offenen Ozeans voneinander getrennt.
    Die dicke Opal sah sich in ihrem Nest um. Es gab wenig Nahrung, und sie mußte wieder einmal die Gärten plündern. Seit ihr Mann beim Meteorfall einen Fuß verloren hatte, lag die ganze Familienlast auf ihren breiten Schultern.
    Unterwegs begegnete ihr ein alter, haariger Benthik, der Lauscher.
    »Was hörst du von der Oberfläche?« fragte sie.
    »Noch nichts, aber ich fürchte, ich habe einen Unheilsboten gesehen, den Krill.« Er hielt einen roten Krebs in die Höhe und warf ihn dann in die Wasserschale zurück, die er in der Hand hatte.
    »Der Krill ist zurückgekehrt?« fragte sie, und er nickte. »Das ist ja wundervoll! Ich habe ihn früher in den Mauern gesehen. Ah, das ist gute Seenahrung! Ich brauche dann nicht mehr in die Gärten zu gehen ... Aber weshalb Unheilsbote?«
    Der Lauscher runzelte die Stirn. »Auch der Schwarm wird den Krill sehen. Dann kommt er, um die See abzuernten, und er wird uns vertreiben. Unsere Kinder werden keinen Platz mehr haben, sich zu verstecken.«
    Opal war wie betäubt. Die Benthiks hatten seit Generationen hier gelebt. Sie wußte, daß der Schwarm vor sehr langen Zeiten die Ruinen gebaut hatte. Niemand hatte geglaubt, daß er je zurückkehren könnte, und so war der Ozean die Zuflucht ihres Volkes

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