Der Zeitläufer
würde sie allerdings weit am Centaurischen System vorbeifliegen. Als die genau vorberechnete Sekunde kam, zündete Ilse ihre winzige Rakete – und entdeckte, daß sie höchstens drei Viertel des benötigten Schubs erlangte. Sie brauchte also zwei Brennstöße, bis sie mit dem neuen Kurs absolut zufrieden war.
Die nächsten fünfzig Jahre benützte Ilse dazu, dieses Problem zu studieren. Sie testete hundertmal das elektrische System der Rakete und zündete sie sogar ein paarmal für Mikrosekunden. Sie konnte aber nicht entdecken, wieso die Jahrhunderte sie ausgeplündert hatten. Aus ihren Beobachtungen schloß sie jedoch, daß sie, wenn sie das Centaurische System erreichte, nur noch tausend Meter/Sekunde in ihrer Rakete hatte, und das war nur die Hälfte der angegebenen Leistung. Wenn keine weiteren Komplikationen auftraten, genügte auch diese Leistung noch, die Planeten beider Sterne dieses Systems zu beobachten.
Aber ehe sie noch dieses Problem gelöst hatte, trat eine neue Schwierigkeit auf; es war die ernsteste, die für sie denkbar war.
Sie hatte ihre Mission vergessen. Im Lauf der Jahrhunderte war von den Magnetfeldern ihres programmierten Gedächtnisses langsam einiges verschwunden, die zuletzt benützten Programme zuerst. Als Ilse diese Programme abzurufen versuchte, um herauszufinden, wie sehr ihre reduzierte Manövrierfähigkeit ihre Mission beeinträchtigte, mußte sie entdecken, daß sie keine Angaben über den letzten Zweck ihrer Reise mehr hatte. Die Erinnerungen endeten mit sehr verblaßten Programmen für biochemische Erkenntnisse und planetare Eintritte. Ilse mußte also vermuten, daß noch etwas Entscheidendes zu tun sei, nachdem sie auf einem passenden Planeten gelandet war.
Ilse war ungeheuer geduldig, und deshalb machte sie sich über den eigentlichen Zweck ihrer Reise im Moment keine Sorgen, denn der lag weit in der Zukunft. Dagegen tat sie, was sie konnte, um jene Programme zu erhalten, die noch brauchbar waren. Sie überspielte jedes Programm in ihr eigenes Gedächtnis, dann wieder zurück in die programmierte Gedächtnisbank. Wenn sie diesen Prozeß alle siebzig Jahre wiederholte, dann konnte sie die programmierten Erinnerungen vor dem Verblassen bewahren.
Sie ahnte natürlich nicht, wie viele Fehler sich bei diesem oftmaligen Überspielen einschleichen konnten. Aus diesem Grund ließ sie jeden ihrer Teilgeister den Prozeß separat wiederholen, und die ballistischen und astronomischen Programme prüfte sie nach, indem sie ihnen und sich selbst bestimmte Probleme stellte.
Ilse ging noch weiter. Sie studierte ihren Körper, um dessen Zweck zu erkennen. Ein großer Teil ihres Körpers war mit einer Substanz ausgefüllt, die sie immer in der Nähe des absoluten Nullpunktes halten mußte. Einige Spuren führten in diese Masse. Aber dort hatte sie kein Gefühl, sondern nur einige Thermometer. Nun hob sie die Temperatur in diesem Abschnitt eine Spur an; so weit, daß sie noch innerhalb der Spezifikationen lag, aber doch fühlbar war. Sie verglich ihre Beobachtungen dieser Masse mit dem chemischen Anlaysenprogramm, und aus dem Ergebnis schloß Ilse, daß die geheimnisvolle Zone ein relativ homogenes Gebilde gefrorenen Wassers war, das man mit verschiedenen Stoffen versetzt hatte. Das war eine recht interessante Information, doch deren Bedeutung konnte sie nicht erkennen.
Ilse trieb also weiter. Die Zeitspanne zwischen der mittleren Kurskorrektur und dem nächsten wichtigen Ereignis auf ihrem Reiseplan war länger als des Menschen Erfahrung mit Ackerbau auf der Erde.
Die Jahrhunderte vergingen, und die beiden nahe nebeneinander stehenden Sterne wurden immer heller, bis sie dann, noch tausend Jahre von Alpha Centauri entfernt, nach Planeten in diesem System zu suchen beschloß. Ilse richtete ihr Teleskop auf den helleren der beiden Sterne aus und nannte ihn Abel; dem kleineren gab sie den Namen Baker. Selbst ihrem scharfen Auge erschien Abel nicht als Scheibe, sondern als runder Lichtklecks, der sehr viel größer war als die tatsächliche Sternscheibe, denn Abel war von einem Lichtring umgeben. Der schwache Schimmer von eventuell vorhandenen Planeten mußte in der Lichtbrechung dieses Kleckses untergehen. Fünf Jahre lang beobachtete Ilse das Spektrum und analysierte es mit einem ihrer subtilsten Programme. Gelegentlich setzte sie Dämpfer in ihr Teleskop und studierte auch die Ergebnisse dieser verzerrten Spektren genau, um sie mit dem Originalspektrum zu vergleichen. Nach fünf Jahren
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