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Der zerbrochene Himmel

Der zerbrochene Himmel

Titel: Der zerbrochene Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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Gorgerino eingenommen hatte, der die Treppe hinuntergestürzt war und sich hatte versetzen lassen.
    Die Lehrerin, Signora Pancucci Romilda, war eine unverheiratete Sechzigerin, die mit einer älteren und halb erblindeten Schwester zusammenlebte, die Adilaida hieß. Sie bewohnten eine kleine Wohnung im zweiten Stock eines vierstöckigen Hauses, das ganz oben im Ort lag, die Straße hieß Via Giovanni Berta, der ein faschistischer Märtyrer und von den Kommunisten umgebracht worden war. Und um dorthin zu kommen, mußte man durch eine ganze Zahl enger, ansteigender Straßen gehen, die alle nach aufgewärmtem Kohl stanken. Man mußte aufpassen, denn oft flog aus den Fenstern irgend etwas auf die Straße, Schalen, Tomatendosen, Abfall, Scheiße und Pisse. Auch das Viertel der Lehrerin stank nach Kohl und Ranzigem. Beim ersten Mal begleitete Mamà ihn. »Michilì, lern den Weg gut, denn ich mag nicht in diese Gegend kommen. Hier gibt es zu viele ordinäre Leute.«
      Michilino wußte, daß es hier viele ordinäre Leute gab. Mamà hatte Papà nämlich erzählt, daß, als sie hergekommen war, um mit der Lehrerin über Michilinos Unterricht zu reden, ihr ein Betrunkener hinterhergelaufen war und sie am Hinterteil zu berühren versucht hatte.
      Als Michilino das gehört hatte, dachte er daran, daß er, wenn er dabei gewesen wäre, den Mann mit seinem Bajonett umgebracht hätte.
      Sobald die Lehrerin Pancucci Michilino mit dem Gewehr sah, sagte sie entschlossen: »Keine Waffen in meinem Hause!«
    »Aber das ist doch nur eine Attrappe«, sagte Mamà.
      »Das ist einerlei. Heute lasse ich's noch durchgehen, aber ab morgen keine Waffen.«
      Michilino lernte an diesem selben Tag Prestipino Salvatore kennen, kurz Totò genannt, der zusammen mit ihm Privatunterricht erhielt. Totò Prestipino war zwar zwei Jahre älter als Michilino, doch weil er ein kleines bißchen zurückgeblieben war, wie die Lehrerin sagte, war er mit dem Unterrichtsstoff der Schule im Verzug. Er war fast so groß wie ein Mann, lachte immer und oft rann ihm Rotz aus der Nase.
      »Prestipino! Nimm dein Taschentuch!« sagte die Lehrerin und gab ihm einen Schlag mit dem Rohrstock auf den Kopf.
      Denn wenn Prestipino die Nase lief, nahm er sie zwischen zwei Finger und schneuzte fest. Der Rotz landete dann manchmal auf dem Boden, manchmal da, wo er eben hinflog, und einmal versaute er Michilinos Heft.
    Sobald er einen heftigen Schlag auf den Kopf bekam, der Michilino allein schon vom Geräusch her Schmerzen verursachte, weinte Totò nicht, sondern lachte.
      Abends, bei Tisch, als er vom ersten Unterricht zurück war, verkündete Michilino: »Zur Lehrerin Pancucci gehe ich nicht mehr.«
    »Wieso?« fragte Papà.
      »Weil sie nicht will, daß ich das Gewehr mitbringe. Aber ich will ohne Gewehr nicht gehen.«
    Mamà fing an zu lachen.
      »Michilì, ich hab sofort begriffen, daß du ohne Gewehr da nicht mehr hingehen würdest. Ich hab die Lösung gefunden. Wenn man durch das Eingangstor des Hauses geht, in dem die Lehrerin wohnt, befindet sich gleich links ein eisernes Türchen; das ist zu, hat aber kein Schloß. Du brauchst es nur etwas anzuziehen, dann ist es offen. Da stellst du das Gewehr hinein, bevor du zu ihr hochsteigst, und nimmst es wieder mit, wenn du weggehst.«
      »Und was, wenn sie's mir stehlen, während ich Unterricht habe?«
    Mamà lachte schon wieder.
      »Auch daran hab ich gedacht. Weil hinter der kleinen Tür nichts ist, es ist völlig leer, keine Wasserhähne, keine Zähler, es dient also niemandem und nichts, hab' ich für dich ein altes Vorhängeschloß gefunden, das nicht ins Auge fällt. Es hat Schlüssel. Daher kannst du es abschließen und aufschließen, wie du's brauchst, und du brauchst keinem Rechenschaft zu geben.«
      Papà hatte still zugehört und machte jetzt ein verwundertes Gesicht.
      »Wie pfiffig du bist, Ernestí! Hätte ich dir gar nicht zugetraut. Jetzt, wo ich's weiß, muß ich mich vor dir in acht nehmen!«

    Eines Tages, als die Lehrerin ins Schlafzimmer gegangen war, um ihre Schwester Adilaida zu versorgen, die mit Grippe im Bett lag, gab Prestipino Michilino einen Stoß mit dem Ellbogen, während Michilino gerade den Unterrichtsstoff wiederholte.
    »Jetzt zeig ich dir was«, sagte er leise mit Verschwörermiene.
      Aus seiner Jackentasche zog er ein buntes, schön duftendes Büchlein, das in einem Umschlag aus getupftem Papier steckte.
    »Ist 'n Kalender«, sagte er.
    »Und für einen

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