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Der zerbrochene Kelch

Der zerbrochene Kelch

Titel: Der zerbrochene Kelch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathinka Wantula
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irritiert. »Sie waren schon öfter hier?«
    »Ein paarmal. Ich koche nicht gern für mich allein, und nach zwei Monaten in der Provinz habe ich allmählich sämtliche Restaurants und Tavernen in Delphi, Itea, Amphissa und Galaxidi durchprobiert. Dies ist die beste Taverne im Umkreis von zwanzig Kilometern. Vor allem die Kontosouvli, die Sie bestellt haben, sind die besten, die ich in Griechenland bisher gegessen habe. Der Koch legt sie stundenlang in eine besondere Marinade aus Knoblauch und Rosmarin. Wirklich ganz ausgezeichnet. Kein Nullachtfünfzehn-Fleischspieß wie in Deutschland. Welchen Wein nehmen wir? Einen trockenen oder einen Kokinelli?«
    »Zum Essen bitte einen trockenen.«
    Delvaux nickte und sprach Englisch mit dem Ober, der ihnen unaufgefordert zwei kleine Schüsseln Choriátiki saláta, einen erfrischenden Salat aus Tomaten, Gurken, Oliven, Paprika, Zwiebeln und Schafskäse, auf den Tisch stellte und nach einem weiteren Gang den Rotwein brachte und in Gläser füllte.
    »Schmeckt sehr lecker«, urteilte Karen über den Salat, als sie auf einmal ein schlechtes Gewissen bekam. Das letzte Mal, als sie einen griechischen Salat gegessen hatte, war sie zusammen mit Michael bei ihrem Lieblingsgriechen in der West Side gewesen.
    Wie war es nur möglich, dass sie Simons Bitte zu diesem Abendessen nachgegeben hatte? Natürlich wäre ihre Mahlzeit in der Hütte äußerst spartanisch ausgefallen, aber wie hatte sie dem Belgier so schnell nachgeben können?
    Mit seinen kurzen blonden Haaren und den leuchtenden blauen Augen sah er sehr gut aus, auch wenn durch seine Wangenknochen sein Gesicht für Karens Geschmack ein wenig zu breit war. Aber er hatte eine wunderbare Unbeschwertheit an sich, die es ihr leicht machte, sich mit ihm unbefangen zu unterhalte n.
    Bereitwillig gab er Auskunft über sein Studium in Brüssel, Amsterdam und Paris und dass er hoffte, mit seiner jetzigen Entdeckung des Brunnenbeckens promovieren zu können.
    Karen trank gerade Wein, als sie sich verschluckte und zu husten begann.
    Delvaux wollte schon aufstehen und ihr auf den Rücken klopfen, doch sie winkte ab. »Sie haben in Paris studiert? Etwa an der Sorbonne?«
    »Ja. Vor zwei Jahren. Ist das ungewöhnlich?«
    »Nein«, krächzte sie, »nicht im Geringsten.«
    »Haben Sie etwa auch dort studiert?«
    Sie hustete noch mal. »Nein, nicht direkt. Ich habe … dort gearbeitet.«
    Delvaux hob fragend die Augenbrauen, doch dann erinnerte er sich, warum Karen in Griechenland war und Delphi besuchte.
    »Ah, Sie haben also über die Sorbonne ein Buch geschrieben?«
    »Nicht über die Sorbonne, sondern über einen Professor, der vor hundert Jahren an der Universität forschte.«
    »Oh, wie interessant. Ein Kollege von Marie Curie? Ging es um Radiologie? War er ein Nobelpreisträger?«
    »Nein, leider nicht.«
    »Was hat er denn erforscht?«
    »Es ging um Stoffwechselkrankheiten. Nichts Besonderes«, wiegelte Karen ab, während ihr bei dieser Untertreibung beinahe übel wurde, als wieder sämtliche Erinnerungen ihres Paris-Besuchs in ihr hochstiegen. »Hören Sie, können wir nicht über etwas anderes reden? Zum Beispiel über das wiederentdeckte Brunnenbecken? Ich stelle mir das ziemlich aufregend vor, der Urheber einer solchen Sensation zu sein.«
    Delvaux seufzte. »Welche Sensation meinen Sie? Einen Brunnen in einem griechischen Felsmassiv? Wen interessiert das schon?«
    »Die Fachwelt.«
    »Ach, die paar hundert Menschen meinen Sie. Na großartig. Ja, wenn Sie in Ägypten einen Sarkophag mit einer gut erhaltenen Mumie finden, haben Sie die Weltöffentlichkeit hinter sich, auch wenn es sich nur um eine drittklassige Mumie aus der Spätzeit handelt, von denen es hunderte in den musealen Lagern gibt. Aber die Leute reagieren immer mit Faszination auf so eine Nachricht, weil sie mit Mumien den alten Glanz Ägyptens gleichsetzen. Was ist dagegen schon ein alter Brunnen in Delphi?«
    Karen wollte das nicht so gelten lassen. »Aber Delphi war zur archaischen Zeit doch ein wichtiger Ort im gesamten Mittelmeerraum. Es war ein Machtzentrum.«
    Delvaux reagierte mit einer abwertenden Handbewegung. »Das weiß heute doch keiner mehr. Und wenn es jemand weiß, dann interessiert es ihn nicht. Wer interessiert sich denn noch für Homer, Sophokles und Aischylos?«
    »Ich zum Beispiel.«
    »Ja, gut. Willkommen im Club einer aussterbenden Rasse.« Er prostete ihr mit seinem Weinglas zu, während Karen einen sehnsüchtigen Blick über den Golf in Richtung

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