Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Zirkel Des Daemons

Titel: Der Zirkel Des Daemons Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Rees Brennan
Vom Netzwerk:
und die anderen warteten, bis der Rest der Passagiere auf der Fähre war. Jeder war bestrebt, sich nach Möglichkeit von Fremden fernzuhalten, Nick am meisten. Er ging als Letzter an Bord, folgte
Alans humpelnden Schritten und trat dann an die seitliche Reling, als die Pfeife zum Ablegen ertönte. Er hob das Gesicht in den kalten Wind und hoffte, die anderen würden begreifen, dass er allein sein wollte.
    Die Fähre legte schwankend ab. Nicks Magen neigte sich im Rhythmus der Bewegung, und einen Moment lang überkam ihn Schwindel, ein Gefühl der Orientierungslosigkeit, als ob er zu schnell aufgestanden und ihm das Blut aus dem Kopf gewichen wäre. Er vermied es bewusst, auf die weite graue Wasserfläche zu blicken, lehnte sich schwer gegen die Reling und umklammerte das Metall mit beiden Händen. Er drückte so fest zu, dass seine Knöchel weiß wurden und seine Finger anfingen zu schmerzen. Dann konzentrierte er sich auf den Schmerz. Sich zu konzentrieren, half ihm, einen klaren Kopf zu bekommen.
    In seiner Magengrube fühlte er den Aufprall der Wellen gegen den Schiffsrumpf. Er versuchte, die Wellen zu zählen, aber es waren so viele, eine endlose Abfolge von Wellen, die auf die Fähre einschlugen. Die ganze See bestand nur aus Strömungen und Dünung.
    Mae, die neben seiner Mutter gestanden hatte, kam auf ihn zu und stellte sich vor ihn. Ihr Gesicht schwankte vor seinen Augen auf und ab, als ob sie unter Wasser wäre.
    »Alles klar bei dir?«, fragte sie. »Wir sind erst vor ein paar Minuten losgefahren und haben kaum Seegang, trotzdem bist du ganz grün im Gesicht. Willst du unter Deck gehen - oder soll ich dir vielleicht einen Eimer holen?«

    »Quatsch«, sagte Nick rau und versuchte, die Reling loszulassen. Seine Hände fühlten sich merkwürdig taub an, als würden sie gar nicht zu ihm gehören. Dann krachte die Fähre gegen eine Welle und er stolperte, beinahe wäre er hingefallen. Sein Bewusstsein schien über das Deck zu gleiten, weg von ihm.
    Beim Klang seiner taumelnden Schritte drehte sich Alan um, als ob er auf dieses Zeichen bloß gewartet hätte. Er kam zu Nick. Sein Humpeln war nicht im Gleichklang mit dem Auf und Ab der Fähre, und einen Moment lang schien es Nick, als wäre Alan der einzige Fixpunkt in einer Welt aus endloser, Übelkeit erregender Bewegung. Nick versuchte, sich zusammenzureißen. Alan würde gleich bei ihm sein und ihm erklären, was los war.
    Die Welt tanzte so wild hin und her, dass sie vor seinen Augen verschwamm, sich in eine bedeutungslose Masse aus Farben und Geräuschen verwandelte. Dann kam ein kleiner, zentraler Schmerzensmoment, als jemand die Fingernägel in Nicks Haut bohrte und mit schriller Stimme rief: »Alan, Jamie! Schnell …!«
    Die Welt kippte zur Seite, als ob die Fähre gekentert wäre. Es gab nichts mehr außer der Dunkelheit und unbändiger Verwirrung, bis Nick merkte, dass er auf dem Deck lag und würgte, als ob er tatsächlich Wasser geschluckt hätte, das er ausspucken musste, um zu überleben. Aber es war kein Wasser, das er schmeckte, sondern nur die scharfe Bitterkeit von Galle.
    Der bittere Geschmack verschwand kurz darauf. Nick
war gewohnt, die absolute Kontrolle über seinen Körper zu haben, stark zu sein und in der Lage, diese Stärke zu nutzen. Es war ein merkwürdiges Gefühl, sich so hilflos zu fühlen, so losgelöst vom eigenen Körper. Dass er überhaupt noch einen Körper hatte, wusste er nur, weil er einen nie gekannten Schmerz empfand, der Teil dieser Loslösung zu sein schien, und weil ihm unsagbar kalt war.
    »Nick«, sprach Alans Stimme, eindringlich und tröstend zugleich.
    Langsam fühlte Nick durch die Kälte hindurch, dass Alan fest seine Hand gepackt hielt, fühlte seine Wange eng an dem rauen Jeansstoff auf Alans Knie liegen. Er merkte, dass sein Kopf - ein in Größe und Form undefinierbares Ding - noch ihm gehörte, weil Alan ihm über das Haar strich.
    »Nick«, sagte Alan wieder. »Es ist alles gut, Nick.«
    Es war alles gut. Nick dachte über diesen Satz nach und entschied dann, dass Alan die Wahrheit sagte. Er war noch nie zuvor hilflos gewesen, jedenfalls nicht, soweit er sich erinnern konnte, aber jetzt war er es, und alles war gut. Normalerweise ließ er sich nicht von anderen Menschen anfassen, aber jetzt konnte er ihre Berührung nicht abwehren. Er musste nicht sprechen, er konnte sich nicht bewegen; alles, was er tun konnte, war daliegen und sich festhalten lassen von Alan, der sich über ihn beugte und ihn vor der

Weitere Kostenlose Bücher