Der Zitronentisch
sich von nun an nie mehr ändern würde, dann würde auch er, wie er erkannte, sich nie mehr ändern. Er würde in diesem Moment eingefroren und konserviert bleiben – nein, in dem Moment, der in der vergangenen Woche beinahe geschehen wäre, hätte geschehen können. Nichts auf der Welt, nicht seine Frau, die Kirche oder die Gesellschaft konnte ihn an der Entscheidung hindern, dass sein Herz sich nie wieder regen würde.
Barbro Lindwall war sich ihrer Gefühle für Anders Bodén nicht sicher gewesen, bis sie erkannte, dass sie nun den Rest ihres Lebens mit ihrem Ehemann verbringen würde. Erst kam der kleine Ulf und dann, ein Jahr später, Karin. Axel liebte die Kinder abgöttisch, ebenso wie sie.
Vielleicht sollte das genügen. Ihre Schwester zog in den fernen Norden, wo Multbeeren wuchsen, und schickte ihr jedes Jahr zur Erntezeit Töpfe voll gelber Marmelade. Im Sommer ruderte sie mit Axel auf den See hinaus. Er setzte, wie vorauszusehen war, Fett an. Die Kinder wuchsen heran. Eines Frühlings schwamm ein Arbeiter aus dem Sägewerk vor den Dampfer und wurde von ihm erfasst; das Wasser färbte sich, als sei der Mann von einem Haifisch zerrissen worden. Ein Fahrgast auf dem Vorderdeck sagte aus, der Mann sei bis zum letzten Moment unbeirrt weitergeschwommen. Der Klatsch behauptete, man habe die Frau des Opfers mit einem seiner Arbeitskameraden in den Wald gehen sehen. Der Klatsch fügte hinzu, der Mann sei betrunken gewesen und habe eine Wette abgeschlossen, dass er direkt am Bug des Dampfers vorbeischwimmen könne. Der Leichenbeschauer befand, er müsse durch Wasser in den Ohren das Gehör verloren haben, und entschied auf Tod durch Unglücksfall.
Wir sind nichts als Pferde in einer Box, sagte Barbro sich oft. Die Boxen sind nicht nummeriert, aber wir kennen dennoch unseren Platz. Ein anderes Leben gibt es nicht.
Doch hätte er nur in meinem Herzen lesen können, bevor ich es tat. Ich rede nicht so mit Männern, höre ihnen nicht so zu, schaue ihnen nicht so ins Gesicht. Warum hat er das nicht erkannt?
Als sie ihn das erste Mal wiedersah, waren sie beide Teil eines Paares, das nach der Kirche am See entlang spazieren ging, und sie war erleichtert, dass sie schwanger war, denn zehn Minuten später wurde sie von einer Übelkeit befallen, deren Anlass sonst offensichtlich gewesen wäre. Sie erbrach sich ins Gras und konnte an nichts anderes denken, als dass die Finger, die ihren Kopf hielten, dem falschen Mann gehörten.
Sie sah Anders Bodén nie wieder allein; dafür sorgte sie. Einmal erblickte sie ihn, wie er vor ihr auf den Dampfer ging, und machte auf dem Anleger kehrt. In der Kirche erhaschte sie bisweilen einen Blick auf seinen Hinterkopf und bildete sich ein, sie könne seine Stimme aus allen anderen heraushören. Wenn sie ausging, schützte sie sich durch Axels Gegenwart; zu Hause hielt sie die Kinder in ihrer Nähe. Einmal schlug Axel vor, sie könnten die Bodéns zum Kaffee einladen; sie erwiderte, Frau Bodén würde sicher Madeira und Biskuitkuchen erwarten, und selbst wenn sie das auftischen könnten, würde sie noch die Nase rümpfen über einen bloßen Apotheker und seine Frau, die beide Zugereiste waren. Der Vorschlag wurde nicht wiederholt.
Sie wusste nicht, was sie von dem halten sollte, das hier geschehen war. Sie konnte niemanden fragen; sie dachte an ähnliche Beispiele, doch die waren alle anrüchig und schienen auf ihren eigenen Fall nicht zuzutreffen. Für ständigen, stummen, heimlichen Schmerz war sie nicht gewappnet. Einmal, als wieder die Multbeeren-Marmelade ihrer Schwester eintraf, betrachtete sie einen Topf, das Glas, den Metalldeckel, das runde Musselintuch, das handgeschriebene Etikett, das Datum – das Datum! – und den Grund für dies alles, die gelbe Marmelade, und dachte: Genau das habe ich mit meinem Herzen getan. Und jedes Jahr, wenn die Töpfe aus dem Norden eintrafen, dachte sie dasselbe.
Anfangs erzählte Anders ihr weiterhin flüsternd, was er wusste. Manchmal war er ein Fremdenführer, manchmal ein Sägewerksdirektor. Zum Beispiel hätte er ihr von den Mängeln im Holz erzählen können. »Eiskluft« ist ein natürlicher Riss in der Stammmitte zwischen zwei Jahresringen. Bei einem »Sternriss« breiten sich Fissuren strahlenförmig in mehrere Richtungen aus. Ein »Herzriss« tritt oft bei alten Bäumen auf und erstreckt sich vom Mark oder Kern des Baums bis zur Rinde.
In späteren Jahren, wenn Gertrud schimpfte, wenn der Akvavit seine Wirkung tat, wenn höfliche
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