Der Zorn der Götter
Viertelstunde später herauskam, lag Kelly im Bett. Diane streckte die Hand aus und wollte die Deckenlampe ausschalten.
»Nein, lassen Sie das!« Es klang wie ein Aufschrei.
Diane blickte Kelly erschrocken an. »Was?«
»Lassen Sie das Licht an.«
»Haben Sie etwa Angst vor der Dunkelheit?«, fragte Diane verächtlich.
»Ja. Ich … ich fürchte mich vor der Dunkelheit.«
»Warum?«, fragte Diane herablassend. »Haben Ihnen Ihre Eltern etwa Gruselgeschichten vom Schwarzen Mann erzählt, als Sie klein waren?«
Eine Zeit lang herrschte Stille. »Genau.«
Diane ging in ihr Bett. Sie lag eine Weile da, dann schloss sie die Augen.
Richard, mein Liebster. Ich habe nie geglaubt, dass man an gebrochenem Herzen sterben kann. Jetzt glaube ich es. Ich brauche dich so sehr. Du musst mich leiten. Ich brauche deine Wärme und deine Liebe. Du bist hier irgendwo, ich weiß es. Ich kann dich spüren. Du bist ein Geschenk Gottes für mich gewesen, aber du warst nur geliehen, und auch nicht lange genug. Gute Nacht, mein Schutzengel. Bitte verlass mich nie. Bitte.
Kelly hörte, wie Diane leise vor sich hin schluchzte. Sie kniff den Mund zusammen. Hör auf. Hör auf. Hör auf. Und Tränen rannen ihr über die Wangen.
27
Als Diane am nächsten Morgen aufwachte, saß Kelly in einem Sessel und starrte die Wand an.
»Morgen«, sagte Diane. »Haben Sie ein bisschen geschlafen?«
Sie bekam keine Antwort.
»Wir müssen uns überlegen, was wir weiter unternehmen. Wir können hier nicht ewig bleiben.«
Keine Antwort.
» Kelly « , rief Diane aufgebracht, » hören Sie mich? «
Kelly fuhr herum. »Was fällt Ihnen ein? Ich bin mitten in einem Mantra.«
»Oh, tut mir Leid. Ich wollte nicht …«
»Vergessen Sie’s.« Kelly stand auf. »Hat Ihnen schon mal jemand gesagt, dass Sie schnarchen?«
Diane zuckte zusammen. Sie meinte, Richards Stimme zu hören, als sie zum ersten Mal eine Nacht zusammen verbracht hatten. Liebling, weißt du, dass du schnarchst? Lass es mich anders ausdrücken. Es ist eigentlich gar kein Schnarchen. Deine Nase gibt die ganze Nacht lang herrliche Melodien von sich, die wie Engelsmusik klingen. Dann hatte er sie in die Arme genommen und …
»Tja, es ist aber so«, sagte Kelly. Sie ging zum Fernseher und schaltete ihn an. »Mal sehen, was in der Welt passiert ist.« Sie zappte von einem Sender zum nächsten, hielt aber plötzlich inne, als sie auf eine Nachrichtensendung mit Ben Roberts stieß. »Das ist ja Ben!«, rief sie.
»Wer ist Ben?«, fragte Diane, so als sei es ihr mehr oder weniger gleichgültig.
»Ben Roberts. Er moderiert Nachrichtensendungen und Talkshows. Er ist der einzige Talkmaster, den ich gut finde. Er und Mark waren gute Freunde. Eines Tages …« Sie verstummte mit einem Mal.
Ben Roberts sagte gerade:
»… und soeben hat uns die Mitteilung erreicht, dass Anthony Altieri, der mutmaßliche Mafiaboss, der kürzlich bei einem Mordprozess freigesprochen wurde, heute Morgen seiner Krebserkrankung erlagen ist. Er war … «
Kelly wandte sich an Diane. »Haben Sie das gehört? Altieri ist tot.«
Diane empfand gar nichts. Es war eine Nachricht aus einer anderen Welt, einer anderen Zeit.
Sie schaute Kelly an und sagte: »Ich glaube, es wäre besser, wenn wir uns trennten. Zu zweit sind wir zu auffällig.«
»Stimmt«, versetzte Kelly trocken. »Wir haben die gleiche Größe.«
»Ich habe damit gemeint …«
»Ich weiß, was Sie gemeint haben. Aber ich könnte ja weiße Schminke auftragen und …«
Diane blickte sie verdutzt an. »Was?«
»War nur ein Witz«, versetzte Kelly. »Die Idee mit der Trennung ist großartig. Das ist ja fast eine Art Plan, nicht wahr?«
»Kelly …«
»Jedenfalls war es ausgesprochen interessant, Sie kennen zu lernen, Mrs. Stevens.«
»Wir ziehen hier aus«, erwiderte Diane kurz und knapp.
Im Foyer drängten sich die Teilnehmerinnen eines Frauenkongresses, die sich gerade anmeldeten, während ein halbes Dutzend Gäste auschecken wollte. Kelly und Diane mussten sich anstellen.
Harry Flint, der draußen auf der Straße stand und ins Foyer blickte, sah sie und zog sich sofort wieder zurück. Er griff zu seinem Handy. »Sie sind gerade ins Foyer gekommen.«
»Gut. Ist Carballo schon bei Ihnen, Mr. Flint?«
»Ja.«
»Gehen Sie genauso vor, wie ich es Ihnen gesagt habe. Überwachen Sie den Eingang zum Hotel von beiden Seiten, damit sie in der Falle sitzen, egal, wohin sie sich wenden. Ich möchte, dass sie spurlos verschwinden.«
Kelly und Diane
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