Der Zorn der Götter
Das Publikum keuchte laut auf. Kelly blieb einen Moment lang liegen und hatte das Gefühl, sie hätte sich bis auf die Knochen blamiert. Sie musste sich zusammenreißen, um nicht in Tränen auszubrechen, atmete dann tief durch, rappelte sich auf und rannte vom Laufsteg.
Als Kelly in den Umkleideraum kam, sagte die Garderobiere: »Ich habe das Abendkleid für Sie bereit gelegt. Sie sollten lieber …«
Kelly schluchzte laut auf. »Nein. Ich … ich kann nicht mehr vor diese Leute treten. Sie lachen mich aus.« Sie wurde immer hysterischer. »Ich bin erledigt. Ich werde nie wieder da rausgehen. Niemals!«
»Aber selbstverständlich.«
Kelly fuhr herum und sah Mark in der Tür stehen.
»Mark! Was … was machen Sie hier?«
»Ach, ich … ich habe mich in letzter Zeit ein bisschen hier und dort herumgetrieben.«
»Haben Sie … haben Sie gesehen, was da draußen passiert ist?«
Mark lächelte. »Es war wunderbar. Ich bin froh, dass es passiert ist.«
Kelly starrte ihn an. »Was?«
Er trat zu ihr, zückte ein Taschentuch und trocknete ihre Tränen. »Kelly, bevor Sie da rausgegangen sind, hielt Sie das Publikum nur für eine wunderschöne, unberührbare Traumfrau, ein Fantasiewesen, unerreichbar. Als Sie aber gestolpert und hingefallen sind, wurde den Leuten klar, dass Sie ein Mensch sind, und deswegen verehren Sie sie umso mehr. Gehen Sie jetzt wieder raus, und machen Sie die Leute glücklich.«
Sie schaute Mark in die Augen und sah seinen mitfühlenden Blick, und mit einem Mal wurde Kelly klar, dass sie in ihn verliebt war.
Die Garderobiere wollte das Abendkleid wieder an die Stange hängen.
»Geben Sie mir das«, sagte Kelly. Sie schaute Mark mit tränennassen Augen an und lächelte.
Als Kelly fünf Minuten später voller Selbstvertrauen den Laufsteg entlangschritt, empfing sie das Publikum mit donnerndem Applaus und stehenden Ovationen. Von Rührung überwältigt blieb sie stehen und blickte in die Gesichter. Sie fand es einfach wunderbar, dass Mark wieder bei ihr war. Und ihr fiel wieder ein, wie nervös sie am Anfang gewesen war …
Kelly war verkrampft gewesen und hatte ständig darauf gewartet, dass Mark einen Annäherungsversuch machte, aber er benahm sich stets höflich und tadellos. Als sie spürte, wie schüchtern er war, fasste sie allmählich Selbstvertrauen. Kelly war es, die meistens das Gespräch begann, und sie stellte fest, dass Mark stets amüsant war und sich gut auskannte, egal, um welches Thema es ging.
»Mark«, sagte sie eines Abends, »morgen findet ein großes Symphoniekonzert statt. Mögen Sie klassische Musik?«
Er nickte. »Ich bin damit groß geworden.«
»Gut. Dann gehen wir hin.«
Das Konzert war brillant gewesen, und dementsprechend begeistert war das Publikum.
Als sie zu Kellys Apartment kamen, sagte Mark: »Kelly, ich … ich habe Sie angelogen.«
Ich hätte es wissen müssen, dachte Kelly. Er ist genau wie alle anderen. Es ist vorbei. Sie wappnete sich für seine Antwort. »Aha?«
»Ja. Ich … ich mag eigentlich gar keine klassische Musik.«
Kelly musste sich auf die Lippen beißen, um nicht laut loszulachen.
Als sie das nächste Mal miteinander ausgingen, sagte Kelly: »Ich möchte mich bei Ihnen für Angel bedanken. Sie ist großartig.« Genau wie du, dachte sie. Mark hatte die strahlendsten blauen Augen, die sie je gesehen hatte, und dazu ein bezauberndes schiefes Lächeln. Sie fühlte sich in seiner Gesellschaft ungemein wohl und …
Das Wasser wurde allmählich kalt. Kelly stellte die Dusche ab, trocknete sich ab, schlüpfte in den vom Hotel zur Verfügung gestellten Frotteebademantel und ging ins Schlafzimmer.
»Jetzt sind Sie an der Reihe.«
»Danke.«
Diane stand auf und ging ins Badezimmer. Es sah aus, als wäre es von einem Sturm verwüstet worden. Der Boden war voller Wasser, und überall waren Handtücher verstreut.
Wütend kehrte Diane ins Schlafzimmer zurück. »Das Badezimmer ist ein einziges Chaos. Sind Sie es etwa gewöhnt, dass andere Leute Ihren Dreck wegräumen?«
Kelly lächelte liebenswürdig. »Ja, Mrs. Stevens. Ich hatte schon von klein auf immer Dienstmädchen, die sich um mich gekümmert haben.«
»Tja, ich bin aber keines.«
Du wärst auch nicht dazu geeignet.
Diane holte tief Luft. »Ich glaube, es wäre besser, wenn wir …«
»Hier gibt’s kein ›wir‹. Nur Sie und mich.«
Sie starrten sich eine Zeit lang an. Dann drehte sich Diane ohne ein weiteres Wort um und ging wieder ins Badezimmer. Als sie eine
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