Der Zorn Des Skorpions
vergangen. Er bemerkte einen Wagen in der Zufahrt … nein, es war ein Jeep, und für den Bruchteil einer Sekunde flackerte Hoffnung auf. Bis er Selena Alvarez zur Haustür herauskommen und rasch auf das Auto zugehen sah, einen Dienstwagen, fast identisch mit Pescolis, der bei dem grausigen Sturz an der Horsebrier Ridge einen Totalschaden erlitten hatte.
Im Laufschritt näherte er sich dem Haupthaus, und Nakita, begeistert von dem Tempo, jaulte aufgeregt und rannte im Kreis um Santana herum, der »Hey!« brüllte, bevor Alvarez hinters Steuer schlüpfen konnte.
Sie hielt inne, und er winkte, stapfte durch den Schnee, der sich auf der erst am Vortag geräumten Zufahrt wieder aufzutürmen begann. Santana atmete schwer, als er ihr Fahrzeug erreicht hatte.
»Ist was passiert?«, fragte sie an der offenen Jeeptür.
»Ich wollte nur wissen, ob Sie etwas gehört haben.« Er versuchte gar nicht erst, seine Aufgewühltheit zu verbergen. »Von Regan.«
»Nein. Zwingen Sie mich nicht, Sie daran zu erinnern, dass Sie nicht an den Ermittlungen beteiligt sind.«
Er ging nicht darauf ein. »Was ist mit Ivor Hicks?«
»Was soll mit ihm sein?«
»Hat man herausgefunden, was er hier wollte? … Ich meine, abgesehen von seiner Räuberpistole über Aliens, die ihn hierhergetrieben haben, und die Yeti-Sichtung.«
»Ivor war betrunken. Um zehn Uhr morgens. Das war für uns beide wohl nicht zu übersehen, denke ich.«
»Hat er nicht auch eines der anderen Opfer gefunden?«
Alvarez nickte bedächtig, mit schmalen Lippen. Schnee sammelte sich in ihrer Hutkrempe.
»War er da auch betrunken?«
Sie antwortete nicht, und er ließ den Blick zum Haus hinüberschweifen, wo er im oberen Stockwerk, in den Fenstern gespiegelt, Ross stehen sah, der, im Schatten verborgen, als wollte er sich verstecken, die Szene draußen beobachtete.
Alvarez’ Handy klingelte, und sie sagte: »Entschuldigen Sie mich.«
Doch er war noch nicht fertig. Wenn er auch nicht erwartet hatte, Neues zu erfahren, war er doch enttäuscht. »Sie bedeutet mir viel«, sagte er tonlos und blickte mit zusammengebissenen Zähnen zum Stall und den Scheunen hinüber. Wie es aussah, stellte die Polizei doch immer ein Hindernis dar. »Ich will nur wissen, ob Sie etwas gehört haben.«
»Ich muss telefonieren.«
Er nickte und ging zurück zu seiner kleinen Behausung. Nakita blieb, nachdem sie nun ein wenig überschüssige Energie abgebaut hatte, dicht an Santanas Seite. Nate wusste, dass Alvarez ihn nicht anrufen würde. Sie hatte ihn ja kaum gegrüßt. Selbst wenn sie gewollt hätte, was nicht der Fall war, wären ihr doch die Hände gebunden.
Als Außenstehender musste er also auf eigene Faust handeln.
Zunächst einmal, sagte er sich, würde er Ivor Hicks eine Bloody Mary spendieren.
»Ich fürchte, ich habe schlechte Nachrichten für Sie«, sagte Dr. Ramsby mit einem milden Lächeln und betrachtete die bleiche Frau, die vor ihr saß, über den Schreibtisch hinweg.
Padgett Long sah sie mit ausdruckslosem Gesicht starr an; ihre großen blauen Augen ließen den Blick der Psychologin nicht los. Regen rann an den Fensterscheiben von Ramsbys Büro hinunter. Padgett trug kein Make-up, war aber trotzdem eine hinreißend schöne Frau mit glattem Teint, dunklem Lockenhaar und blauen, von gebogenen schwarzen Wimpern gerahmten Augen. Doch sie reagierte nicht. Vor langer Zeit schon hatte Jalicia gelernt, dass gerade die Stillen im Lande die Schrecklichsten waren. Vor Psychopathen, die zu Ausbrüchen neigten, war man immer auf der Hut, aber die Stillen, die in ihrer ganz persönlichen höllischen Welt lebten – die musste man gut im Auge behalten. Sie konnten einen Menschen auf tödliche Art in falscher Sicherheit wiegen.
»Es sind im Grunde gleich zwei schlechte Nachrichten.«
Noch immer zeigte sie keinen noch so kleinen Hauch von Begreifen.
»Zunächst einmal, Ihr Vater ist schwerkrank. Ich weiß wohl, das haben wir Ihnen schon mitgeteilt. Er lebt in einem Pflegeheim und wird immer hinfälliger.«
Padgett wartete. Geduldig. Wie in einer anderen Welt.
»Ich habe mit Mr. Tinneman, dem Anwalt Ihres Vaters, gesprochen, und von ihm erfuhr ich, dass es der letzte Wunsch Ihres Vaters ist, seinen Enkel, Ihr Kind, zu sehen. Anfangs habe ich mich geweigert, mit Ihnen darüber zu sprechen. Ich wollte, dass ein Familienmitglied Sie um Hilfe bittet, wenn man Ihre Hilfe brauchte.«
Sah sie ein Aufblitzen von Verstehen, ein unwillkürliches Zucken in Padgetts
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