Der Zorn Des Skorpions
den Schnee von ihren Stiefeln, bevor sie über die Schwelle und in einen weihnachtlich geschmückten Raum trat. Zusätzlich zu dem in Pink geschmückten Baum waren Lichterketten über dem Kaminsims aufgehängt, und Kerzen wetteiferten mit den Jagd- und Sportzeitschriften um Platz auf den Beistelltischen. Keramikkobolde mit großen Augen, Schlapphüten und nach Alvarez’ Meinung frechem, lüsternem Grinsen hockten zwischen Tischbeinen und auf Fensterbänken.
»Sie haben Regan seit wann nicht gesehen?«
»Irgendwann letzte Woche, als wir die Kinder abgeholt haben«, sagte Lucky.
»Freitag«, steuerte Michelle bei und winkte Selena zu der Sesselgruppe vor einem Kamin ohne Feuer, in dem gefährlich über angekohlten Scheiten ein Weihnachtsmannstiefel aus Plastik baumelte, als würde der alte Mann tatsächlich gleich durch den Schornstein hereinkommen. »Am Nachmittag.«
»Aber seitdem haben Sie noch mal mit ihr gesprochen.« Sie verfolgte flüchtig die Lokalnachrichten auf dem Bildschirm, wo gerade eine Frau in einen Streifenwagen geschoben wurde.
Eilmeldung aus Spokane, Washington,
lautete die Bildunterschrift.
Die Ermittlungen im Fall des Unglücksstern-Mörders führten zur Verhaftung einer Verdächtigen.
Michelle hockte sich auf die Kante eines blauen Sessels, während ihr Partner seinen offenbar angestammten Platz auf dem Sofa einnahm. Cisco, der Verräter, hüpfte an seine Seite und richtete seine Knopfaugen auf Alvarez.
»Ja. Gestern. Als sie erfahren hatte, dass die Kinder bei mir sind.« Sein Blick schweifte zum Fernseher. »Anscheinend haben Sie den Kerl geschnappt, wie?«
»Man wird sehen.«
»Vielleicht ist Regan nach Spokane gefahren, um bei der Verhaftung dabei zu sein.«
»Dann wüsste man im Büro des Sheriffs, wo sie steckt«, grinste Bianca, nagte jedoch nervös an ihrer Unterlippe.
»Was hat sie gesagt?«, wollte Alvarez von Lucky wissen.
»Am Telefon?«
Selena nickte.
Er zuckte die Achseln. »Dass sie auf dem Weg wäre. Ich habe ihr gesagt, dass … na ja, dass Michelle und ich das alleinige Sorgerecht für Jeremy und Bianca wollen, und Regan flippte aus. Sagte, sie würde herkommen, und ich sollte die Kinder und den Hund startbereit machen.«
»Und ist sie vorbeigekommen?«
»Nein.« Er wich Alvarez’ festem Blick aus. »Ich dachte, sie hätte sich beruhigt. Es sich anders überlegt.«
»Tatsächlich?«
»Ja, tatsächlich. Das kommt vor, wissen Sie?« Er war jetzt gereizt und ein wenig interessierter. »Es ist ja nicht so, dass sie nie etwas anderes tut, als sie ankündigt. Das ist ihre Taktik.«
»Ja«, pflichtete Michelle ihm bei.
»Sie sind ihre Partnerin. Sie müssen doch wissen, wie hitzköpfig sie manchmal ist«, sagte Lucky.
»In meinen Augen ist sie aber ziemlich unbeirrbar, wenn es um die Kinder geht.« Jetzt erst fiel Selena auf, dass Pescolis Sohn sich nicht zu ihnen gesellt hatte. »Ist Jeremy hier?«
»Nein, er ist in die Stadt gefahren.«
»Bei diesem Wetter?« Sie wies mit einer Kopfbewegung aufs Fenster, vor dem der Schneesturm tobte.
»Er ist fast achtzehn und ist das Fahren auf verschneiten Straßen gewohnt, seit er seinen Führerschein hat. Es macht ihm nichts aus. Ich habe ihm meinen Pick-up geliehen, weil wir seinen bei ihr zu Hause zurückgelassen haben.« Als wäre ihm plötzlich etwas eingefallen, fügte er hinzu: »Sie sagten, Sie haben in ihrem Haus nachgeschaut?«
»Sie ist nicht da, und ihr Jeep ist fort.«
»Und sie meldet sich nicht am Telefon?« Er reckte sich nach dem kabellosen Telefon und wählte Pescolis Nummer mit einer Sicherheit, als könnte er seine Ex-Frau natürlich erreichen, obwohl das gesamte Büro des Sheriffs sich seit Tagen vergeblich bemühte. Als das nicht klappte, tippte er eine andere Nummer ein und fragte, während er wartete: »Sie haben es doch auf ihrem Handy versucht?«
»Ja«, antwortete Selena vorsichtig.
Er wartete mit gefurchter Stirn, dann hörte er offenbar Pescolis Mailbox-Ansage, legte auf und starrte das Gerät an.
»Dad?«, fragte Bianca mit leicht zittriger Stimme. »Wo ist Mom?«
»Ach, vermutlich bei irgendeinem Versager-Typen, den sie aufgegabelt hat …«
»Lucky, nicht«, warnte Michelle und schürzte missbilligend die perfekt geschminkten rosa Lippen.
Vielleicht ist sie doch gar nicht so übel.
»Aber Sie finden sie doch, oder?« Bianca blickte von ihrem Vater zu Alvarez.
»Natürlich«, sagte Selena, obwohl sie die Chance gering einschätzte. »Erzählen Sie doch mal, was passiert ist, als
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