Der Zorn Des Skorpions
Lippen zu bewegen. »Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnaden …«
15. KAPITEL
N ate Santana war nicht der Typ, der tatenlos herumsaß. Deshalb wollte er an diesem Tag, während es im Haupthaus von Polizisten wimmelte, der Spur desjenigen folgen, der Brady Long erschossen hatte. Bevor der ewige Schneesturm sie zudeckte.
In Gedanken an seinen Plan sah er nach dem Vieh, dann sattelte er Scout, seinen stämmigen Paint-Horse-Wallach mit hellblauen Augen und einer Zeichnung an der Flanke, die aussah wie der Staat Alaska. Er schnallte ein Bündel und einen Schlafsack hinten am Sattel fest, griff sich seine Winchester und ritt los. Er sah keinen Grund, Nakita mitzunehmen, obwohl der Hund bei seinem Aufbruch erbärmlich winselte; doch der Schnee war zu tief und verweht. Bis er die scharfe Nase des Huskys benötigte, wollte er den Spuren lieber allein zu Pferde folgen.
Er durchquerte den rückwärtigen Teil des Besitzes auf einem Weg, der irgendwann die Stiefelspur kreuzen musste, die er gesehen hatte. Falls Ivors Yeti der Mörder und nicht eine Halluzination war, dann müsste die Spur nach Westen ins Vorgebirge führen und, wie er vermutete, auf eine alte Holzfällerstraße stoßen, die zwischen Longs Besitz und dem Regierungsland hindurchführte.
Der Wallach stapfte durch die Schneewehen, und Santanas Blick suchte die eiskalte Landschaft nach etwas Auffälligem ab.
Warum war Brady Long umgebracht worden? Der Mann hatte gewiss eine Menge Feinde, aber warum gerade jetzt? Mitten im härtesten Winter in der Geschichte Montanas? Und wer hatte wissen können, dass Long zur Ranch kam? Seine derzeitige Freundin, das Model, diese Maya soundso? Einer seiner Mitarbeiter? Freunde, die er treffen wollte? Oder nur Clementine?
Dann war da noch eine gewichtigere Frage. Die Frage, die an seinem Herzen nagte. Hing der Mord an Brady Long mit Regan Pescolis Verschwinden und all den anderen Morden zusammen, die auf die Kappe des Unglücksstern-Mörders gingen?
War es Zufall? Oder die kalte, harte Wahrheit? In dieser Gegend war kein Mord mehr geschehen, seit Calvin O’Dells Frau ihren Mann erschoss, weil er mit ihrer erwachsenen Tochter geschlafen hatte, und das lag fünf oder sechs Jahre zurück. Santana hatte noch nicht in Grizzly Falls gelebt, als sich dieser Skandal ereignete. Doch seitdem war kein einziger Mord mehr passiert. Nicht einmal Bandenkriege oder Drogenrazzien oder Jagdunfälle – in Pinewood County passierte nichts. Jetzt hatte der Unglücksstern-Mörder sich nicht nur diese Gegend als privaten Tummelplatz ausgesucht, sondern es trat auch noch eine Trittbrettfahrerin in seine Fußstapfen. Und falls sich herausstellen sollte, dass jemand anderes Brady Long umgebracht hatte, dann würden plötzlich drei Mörder die Gegend unsicher machen.
Höchst unwahrscheinlich, aber wer weiß?
Der Mord an Brady könnte auf Bestellung erfolgt sein.
Das wollte er nur zu gern glauben. Der Mann hatte sich mehr als genug Feinde gemacht, doch Santanas Gedanken kreisten immer wieder um die Tatsache, dass die Reifen der Opfer des Unglücksstern-Mörders mit dem gleichen Kaliber zerschossen wurden, dem auch Brady Long zum Opfer gefallen war.
Aber der Unglücksstern-Mörder tötet nicht mit dem Gewehr. Er lässt seine Opfer in der Wildnis sterben. Der Mord an Brady entspricht nicht seiner Vorgehensweise.
Nate zog leicht die Zügel an und lenkte Scout über einen Bach, der sich durch eine Felszunge zwischen ein paar struppigen Kiefern hindurchschlängelte. Es knackte unter den Hufen des Wallachs, wenig Wasser floss unter der Eisdecke des Bachs.
Er befand sich jetzt nördlich vom Haus, weit entfernt vom Hubschrauberlandeplatz. Um ihn herum tanzten Schneeflocken; der rauhe Wind ließ nicht vergessen, dass der Winter das Land fest im Griff hatte. Santana richtete den Blick zu Boden, suchte nach Spuren, nach irgendwelchen Vertiefungen in der weißen Schneedecke.
»Wohin bist du gegangen, du Mistkerl?«, fragte er laut. Sein Atem stieg wie eine Wolke in die Luft.
Und wenn dieser Wahnsinnige Regan in seiner Gewalt hatte?
Seine Nackenmuskeln spannten sich bei diesem Gedanken an. Mit zusammengekniffenen Augen suchte er den Boden ab.
Ich bringe ihn um,
dachte er.
Ohne mit der Wimper zu zucken.
Ihm war, als würde ihm die Brust von Stahlbändern eingeschnürt, die mit jedem Atemzug enger wurden, wenn er sich vorstellte, dass die Frau, die er liebte, sich in den Händen dieses Verrückten befand.
Die Frau, die du liebst, denk nur,
Weitere Kostenlose Bücher