Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zuckerkreml

Der Zuckerkreml

Titel: Der Zuckerkreml Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
Vom Netzwerk:
die
     Neunmalklugen. Aber wer hat euch den Schweinebraten zu Ostern beschafft? Und wer die
     zwei Osterkuchen? Wer hat zur Taufe bei den Bojaren in Mytischtschi ein halbes Huhn
     ersungen? Schon vergessen?
    Sofron: Wollen wir uns jetzt gegenseitig
     vorrechnen, was der Einzelne wo eingespielt hat? Ein halbes Huhn für den Gesang und
     einen Sack für den A…
    Soplja: Was geht’s dich an! Ist ja nicht
     dein Sack!
    Frolowitsch: Hört auf, genug gekabbelt.
     Setzt euch, wir wollen tafeln.
    Frolowitsch und Sofron entleeren den Inhalt dreier
     Säcke auf das Wachstuch.
    Frolowitsch: Also, hier sind abgenagte
     Hühnerknochen aus dem »Goldenen Ei«. Such die schönsten aus, und ab in den Kessel
     damit! So! ( Lacht froh. ) Da hab ich eine
     hübsche Menge abstauben können. Und ganz ohne dass mir wer an die Gurgel fuhr!
    Sofron: Wie du dich da reingestohlen hast,
     ist mir ein Rätsel. Da steht doch immer ein Türhüter.
    Frolowitsch: Der musste anscheinend mal … Da waren wir grad an der Tankstelle
     gegenüber am Singen …
    Wanjuscha: Richtig. Das vom Christkind. Und
     keiner hat uns weggestoßen …
    Frolowitsch: Wie ich mitkriegte, dass der
     Türhüter weg war, bin ich sofort rüber und reingeschlüpft. Abgetaucht unter einen
     Tisch. Geäugt: Da standen auf zwei Tischen vier Teller mit Resten!
    Soplja: Schwein gehabt!
    Frolowitsch: Bis das Serviermädel seinen
     Wagen ranbugsiert hatte, war ich schon hingerobbt und hab die Knochen alle in meinen
     Sack gestopft. Und keiner hat gebrüllt! Ich meinen Sack geschnappt und zur Tür. Erst
     da haben sie mich entdeckt.
    Sofron: Da hattest du Glück mit den
     Wirtsleuten. Wie ich neulich bei den Chinesen auf der Pretschistenka in ihr
     Shitang 4 schwänzeln gegangen bin, da entdeckten sie mich sofort und gaben mir einen
     Stromstoß in den Arsch. Wahrscheinlich haben sie mich gerochen, die Hunde.
    Frolowitsch (nickt): Es liegt immer am Geruch.
    Soplja: Alles Übel kommt daher.
    Wanjuscha: Wahr gesprochen. Wir riechen
     anders als die anderen. Darum ekeln sich die Saubermenschen vor uns. Die Hündchen
     dagegen, die sind nett zu uns. Sie verbellen die Sauberen.
    Soplja: Was du immer mit deinen Hündchen
     hast! Mich konnten die Köter noch nie riechen. Weder früher, wie ich sauber rumlief,
     noch jetzt. (Wühlt in den Abfällen.) Und
     was ist das?
    Sofron: Ein Spielzeuggeschenk. Hat mir ein
     kleiner Junge reingesteckt.
    Soplja: Ist so ein Geschenk essbar?
    Sofron: Keine Ahnung. Zeig mal her. (Greift nach dem Spielzeug – ein kleiner
     Plastikpfannkuchen auf Beinen –, schraubt es auf: Drinnen steckt ein kleinerer
     von selber Art.)
    Pfannkuchen: Nihao! Nihaoa, shagua? 5
    Sofron: Nishi shagua. 6 ( Klappt den Pfannkuchen wieder zu.) Wenn das Zao hörte, der tät ein Wörtchen mit dir reden … Nicht essbar, die Sache. (Wirft das Spielzeug ins Feuer.)
    Frolowitsch: Das Brot bitte extra legen,
     Freunde, wie üblich.
    Soplja: Brot gab es reichlich.
    Sofron: Stimmt … Aber dafür geben sie seit
     Neuestem überhaupt kein Geld mehr.
    Frolowitsch: Sind einfach zu viele Bettler
     dazugekommen in Moskau. Da versiegt es.
    Wanjuscha: Und wieso auf einmal,
     Frolowitsch?
    Frolowitsch: Weil sie dumm sind. Alles
     strömt nach Moskau und denkt, das Geld wird ihnen vor die Füße geworfen.
    Sofron: Wanja, das hab ich dir doch schon
     mal erklärt: Es sind deshalb so viele Bettler geworden, weil auf den Dörfern mehr
     gebrandschatzt wird. Früher traf es nur die Bojaren, und das auch nur in Moskau.
     Jetzt werden ganze Dörfer abgefackelt, damit der Bojare für seine Untergebenen die
     Verantwortung übernimmt. Kapiert?
    Wanjuscha: Kapiert, Sofronjuschka.
    Frolowitsch: Und wer abgebrannt ist, dem
     fällt nix Bessres ein, als nach Moskau zu gehen! Dann muss man sich nicht wundern,
     dass keiner mehr was gibt!Auf der Twerskaja ist kein Durchkommen
     vor lauter Bettlern. Da soll einer genug Geld in der Tasche haben für die alle!
    Wanjuscha: Die Abgebrannten zieht es
     deswegen nach Moskau, weil da so viele Menschen sind. Von denen könnte man jeden
     Einzelnen um eine milde Gabe angehen, so denken sie sich.
    Sofron: Angehen schon. Aber was kriegen?
    Frolowitsch: Die Moskauer haben Herzen aus
     Eis. Die kannst du mit Tränen nicht erweichen. Und unsere Lieder sind ihnen
     schnuppe.
    Sofron: Das ist wohl wahr. Lieder werden
     heutzutage nicht mehr gehört. Vor einem Jahr ging das noch, heute nicht mehr. Der
     selige Zao hat schon recht gehabt: Man müsse von Moskau weg ins Umland

Weitere Kostenlose Bücher