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Der Zuckerkreml

Der Zuckerkreml

Titel: Der Zuckerkreml Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
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Hand den Schoß aus, rieb sie
     anschließend an einer Zuckerbruchpalette trocken.
    »So was aber auch«, stieß der erhitzte Nossow
     kopfschüttelnd hervor und knöpfte sich immer noch keuchend wieder zu.
    Die Pogossowa drehte sich zu ihm um. Sah ihn an mit ihrem immer
     gleichen Lächeln.
    Nossow zog den Gürtel straff und richtete die Mütze.
     Atmete noch einmal tief durch, strich sich über den Schnauzbart. Griff in seine
     Tasche, holte einen Silberrubel hervor. Hielt ihn der Pogossowa hin, die ihn nahm
     und in die Tasche ihres blauen Kittels steckte.
    Nossow hüstelte.
    »Dann wollen wir mal«, sagte er und lief den Gang zurück.
    Die Pogossowa folgte ihm.
    Sie verließen den Raum, Nossow schloss ab. Sie gingen
     durch den Korridor zum Band, das in die Kantine führte. Auf dem Band standen
     vereinzelt Arbeiter. Nossow und die Pogossowa stellten sich auf das Band. Lächelnd
     betrachtete Pogossowa die vorübergleitenden Plakate an der Wand.
    »Ich hätte da noch eine Frage.«
    »Was ist denn?«, fragte Nossow und sah sie mit
     zusammengekniffenen Augen an.
    »Warum wird der Bruch nicht repariert, sondern gleich
     abgeschrieben?«
    »Wie willst du den reparieren? Vollguss.«
    »Aber wenn da bloß ein einziger kleiner Zacken abgebrochen
     ist von der Mauer, ich meine, deswegen gleich den ganzen Kreml abschreiben …«
    »Das gehört sich so.«
    »Geht der Zacken denn so schwer anzukleben?«
    Nossow setzte ein müdes Lächeln auf.
    »Womit willst du den denn ankleben, dummes Häschen?«
    »Na, auch mit Zucker.«
    »Ausgeschlossen. Der Zucker wird bei einer ganz bestimmten
     Temperatur gegossen und dann sofort zumErstarren gebracht. Das
     lässt sich nicht rückgängig machen.«
    »Ach so?«
    »Ja.«
    Die Pogossowa seufzte.
    »Ich meine ja nur, schade um die schöne Arbeit. Einen
     ganzen Kreml wegschmeißen wegen einem einzigen kleinen Zahn.«
    »Ein Kreml hat nun mal ganzheitlich zu sein.«
    »Ganzheitlich?«
    »Ganzheitlich.«
    »Wieso das?«
    »Wieso was? Das ist eine Staatsangelegenheit, Dummchen! Da
     darf es keinen noch so feinen Riss geben, keine noch so kleine Scharte! Makellos!
     Kapiert?«
    »Klar doch«, sagte die Pogossowa und sah ihn an.
    »Du kannst Fragen stellen! Dabei bist du doch kein Kind
     mehr. Wie alt bist du?«
    »Achtzehn.«
    »Achtzehn! Mit achtzehn hab ich schon bei der
     Fernartillerie gedient, da wusste ich schon, wo der Hammer hängt. Und du, du bist
     doch bestimmt schon den dritten Monat bei uns?«
    »Den vierten.«
    »Den vierten, na siehst du. Da müsstest du eigentlich
     schon wissen, wo es langgeht. Das kleine Einmaleins sozusagen.«
    »Weiß ich ja auch. Mir tut’s nur um den Zuckerbruch leid.«
    Nossow lächelte wieder sein müdes Lächeln und schüttelte
     den Kopf.
    »Fängst du schon wieder an? Ganz-heit-lich-keit! Klaro?«
    »Klaro«, lächelte die Pogossowa.
    Er schaute weg und winkte ab.
    »Mit dir zu reden hat nicht viel Zweck. Lauf und iss was,
     Pogossowa.«
    Die Pogossowa nickte.
    Seufzend verließ Nossow das Band und steuerte schnellen
     Schrittes auf das Raucherzimmer von Abteilung eins zu.
    Die Pogossowa fuhr weiter. Ihre großen grünen Augen
     blickten voraus.

[Menü]
    KINO
    »Kamera!«, raunte der Regisseur.
    Er sprach leise, doch artikuliert – zumal seine Stimme von
     Lautsprechern verstärkt wurde, sodass sie durch den ganzen, von der tief stehenden
     Sonne durchfluteten Birkenhain schallte.
    »Kamera läuft!«, erwiderte der Kameramann.
    »Klappe!«, befahl der Regisseur nun etwas lauter.
    Ein Mädchen im luftigen Sommerkleid, mit zwei langen
     Zöpfen, betätigte die Klappe und rief:
    »Szene achtunddreißig, die dritte!«
    »Iwan!«, kommandierte der Regisseur.
    Ein junger Mann von attraktivem Äußeren, in beigefarbenem
     Nankinganzug, weißer Russenbluse mit besticktem Stehkragen und Chromlederstiefeln,
     ging zu einer Birke, kniete vor ihr nieder und umarmte sie, das Gesicht an den Stamm
     gedrückt.
    »Verzeih, Mütterchen Russland, verzeih mir!«, sprach er
     mit brechender Stimme.
    Der Regisseur hob den gestreckten Zeigefinger.
    Kuckucksrufe tönten durch den Hain.
    »Eins … zwei … drei … vier …«, begann der junge Mann sie
     zu zählen.
    Der Regisseur zog den Zeigefinger ein. Der Kuckuck
     verstummte.
    Der junge Mann setzte sich mit dem Rücken zur Birke,lehnte sich an. Seufzte schwer. Fuhr sich mit der Hand über die
     Brust. Löste den obersten Hemdknopf mit schroffer Gebärde.
    »O mein Gott … Will die liebe Heimatscholle mich

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