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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Menschen und Tiere hätte mitreißen können. Wenn man die Gefahr sieht, hält man sie schon aus. Es gibt kein unbekannteres und größeres Heldentum.
    Wieder wurde einem Manne der Kopf abgerissen; vor einem Munitionswagen röchelten zwei Pferde mit offenem Bauche, und das feindliche Feuer blieb so mörderisch, daß die ganze Batterie niedergekämpft worden wäre, wenn sie sich darauf versteift hätte, in dieser Stellung zu bleiben. Trotz der Unannehmlichkeiten eines Stellungswechsels mußte sie aber diesem schrecklichen Feuer aus dem Wege gehen. Der Hauptmann zögerte nicht länger und befahl:
    »Protzen vor!«
    Der gefährliche Vorgang vollzog sich mit blitzähnlicher Schnelligkeit: wieder beschrieben die Fahrer ihren Halbkreisund brachten die Protzen heran, die die Kanoniere mit den Geschützen zusammenhakten. Bei dieser Bewegung aber boten sie eine breitere Zielfläche, die der Feind mit verdoppeltem Feuer ausnutzte. Wieder blieben drei Leute liegen. In scharfem Trabe ging nun die Batterie davon und beschrieb einen Kreisbogen zwischen den Feldern, um fünfzig Meter weiter rechts auf einer kleinen ebenen Fläche an der andern Seite der 106er wieder in Stellung zu gehen. Die Geschütze protzten ab, die Fahrer hielten wieder dem Feinde zugekehrt, und das Feuer ging ohne Unterbrechung weiter mit einer Heftigkeit, daß der Erdboden nicht aufhörte zu zittern.
    Diesmal schrie Maurice auf. Abermals hatten sich die preußischen Batterien mit drei Schüssen eingeschossen, und ihre dritte Granate fiel genau auf Honorés Geschütz. Sie sahen, wie der vorstürzte und mit zitternder Hand die frische Verletzung betastete; eine ganze Ecke war aus der Bronzemündung herausgeschlagen. Aber es konnte wieder geladen weiden, und die Einstellung nahm ihren Fortgang, nachdem die Räder vom Körper eines zweiten Mannes der Bedienungsmannschaft befreit waren, dessen Blut die Lafette bespritzt hatte.
    »Nein, der kleine Louis ist es nicht,« fuhr Maurice in Gedanken ganz laut fort. »Da richtet er sie ja schon wieder; aber er muß auch verwundet sein, denn er kann nur noch den linken Arm gebrauchen ... Ach! der kleine Louis, der mit Adolf so nett zusammenlebte, und sie hatten ausgemacht, daß der Mann zu Fuß, trotzdem er der Gebildetere war, der ergebene Knecht des Fahrers als des Berittenen sein müßte ...«
    Jean, der ruhig dalag, unterbrach ihn mit einem Angstschrei:
    »Das halten sie niemals aus, die Geschichte geht schief!«
    Tatsächlich war diese zweite Stellung in fünf Minuten ebenso unhaltbar geworden wie die erste. Die Geschosse schlugen mit derselben Genauigkeit ein. Eine Granate zerschmetterte ein Geschütz und tötete einen Leutnant und zwei Mann. Kein Schuß ging fehl; es kam so weit, daß, wenn sie dort noch länger blieben, kein Mann und kein Geschütz übrigbleiben konnte. Vernichtung fegte alles fort.
    Da ertönte der Befehl des Hauptmanns zum zweitenmal:
    »Protzen vor!«
    Wieder ging die Geschichte los, die Fahrer sausten im Halbkreise heran, damit die Kanoniere die Geschütze aufprotzen könnten. Aber diesmal durchbohrte ein Sprengstück Louis während des Aufprotzens die Kehle und riß ihm den Kinnbacken fort, so daß er über den Lafettenschwanz fiel, den er gerade anheben wollte. Als Adolf herankam, ging gerade im Augenblick, wo die Bespannung breitseits stand, eine wütende Salve los: mit zerrissener Brust und weit geöffneten Armen stürzte er vornüber. Mit einer letzten Zuckung umfaßte er den andern, und so blieben die beiden in dieser Umarmung, schrecklich verzerrt, auch im Tode verheiratet.
    Trotzdem ihre Pferde getötet waren und trotz all der Unordnung, die die mörderische Salve in ihren Reihen angerichtet hatte, erklomm die ganze Batterie einen Abhang und nahm hier wenige Meter von dem Platze Stellung, wo Maurice und Jean lagen. Zum drittenmal protzten die Geschütze ab, standen die Fahrer mit dem Gesicht dem Feinde zugekehrt und eröffneten die Bedienungsmannschaften sofort das Feuer in starrköpfigem, unüberwindlichem Heldenmut.
    »Das ist das Ende!« sagte Maurice, und die Stimme versagte ihm.
    Tatsächlich schien es, als wollten sich Himmel und Erdeverschmelzen. Die Steine spalteten sich und zeitweilig verdunkelte dicker Rauch die Sonne. Sie sahen, wie inmitten dieses furchtbaren Lärms selbst die Pferde wie taub, ganz dumm mit gesenkten Köpfen dastanden. Der Hauptmann schien überall zu sein, riesengroß. Er wurde mitten durchgeschlagen, knickte zusammen und fiel wie eine Fahnenstange.
    Aber

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