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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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merkwürdig abkühlte, fand sie ein bißchen töricht. Unten blieb er indessen noch einen Augenblick bei ihr stehen und wartete auf General Lebruns Fortgang. Als dieser wieder herunterkam, ging er hinter ihm her.
    General Lebrun hatte dem Kaiser erklärt, daß, wenn er um Waffenstillstand nachsuchen wolle, dem Oberbefehlshaber der deutschen Truppen ein vom Oberbefehlshaber des französischen Heeres unterzeichneter Brief zugestellt werden müsse. Er hatte sich erboten, diesen Brief aufzusetzen und General Wimpffen zu suchen, der ihn unterschreiben müsse. Er trug den Brief bei sich und hatte nur die Angst, daß er diesen letzteren nicht auffinden könnte, da er keine Ahnung hatte, auf welchem Punkte des Schlachtfeldes er sich befinde. In Sedan herrschte übrigens ein derartiges Gedränge, daß er sein Pferd im Schritt gehen lassen mußte; das machte es Delaherche möglich, bis zum Tore nach Ménil neben ihm herzugehen.
    Draußen ging General Lebrun dann in Galopp über und hatte, als er in Balan eintraf, das Glück, General von Wimpffen zu finden. Der hatte dem Kaiser noch vor ein paar Minuten geschrieben: »Sire, setzen Sie sich an die Spitze Ihrer Truppen, und sie werden ihre Ehre daran setzen,Ihnen einen Weg durch die feindlichen Linien zu bahnen.« Bei dem bloßen Wort Waffenstillstand geriet er in rasende Wut. Nein, nein! Nichts wollte er unterschreiben, fechten wollte er! Es war halb vier. Kurze Zeit darauf fand der letzte heldenmütige, verzweiflungsvolle Versuch statt, sich mit einem letzten Stoß einen Ausweg durch die Bayern zu bahnen und noch einmal auf Bazeilles vorzugehen. In den Straßen von Sedan und den umliegenden Feldern wurde den Soldaten, um ihnen Mut zu machen, laut vorgelogen: »Bazaine kommt, Bazaine kommt!« Viele träumten hiervon seit dem Morgen und glaubten jedesmal die Geschütze der Truppen von Metz zu hören, wenn die Deutschen eine neue Batterie eingreifen ließen. Ungefähr zwölfhundert Mann Zersprengte aller Korps und aller Waffengattungen wurden zusammengefaßt, und in großartiger Weise stürzte sich die kleine Abteilung im Laufschritt über die von Kugeln übersäte Straße. Zuerst ging es prachtvoll vorwärts, die Fallenden konnten den Schwung der übrigen nicht aufhalten, und mit wahrhaft rasendem Mut kamen sie ungefähr fünfhundert Meter weiter. Aber bald lichteten sich die Reihen, und auch die Tapfersten wichen zurück. Was sollten sie gegen die Übermacht ausrichten? Das war ja lediglich die närrische Tollkühnheit eines Heerführers, der sich nicht für besiegt erklären wollte. Und schließlich befand sich General von Wimpffen mit General Lebrun ganz allein auf der Straße von Balan nach Bazeilles, die sie nun endgültig aufgeben mußten. Es blieb ihnen nichts weiter übrig, als sich unter die Mauern von Sedan zurückzuziehen.
    Nachdem Delaherche den General aus den Blicken verloren hatte, beeilte er sich, wieder zu seiner Fabrik zu gelangen, denn nun war er von dem einzigen Gedanken besessen,wieder auf seine Warte hinaufzusteigen und den Ereignissen von weitem zu folgen. Als er aber dort ankam, wurde er unter dem Torweg einen Augenblick dadurch aufgehalten, daß er auf den Oberst von Vineuil stieß, der mit seinem blutüberströmten Stiefel halb ohnmächtig in einem Gemüsekarren auf einem Fuder Hafer gebettet herangebracht wurde. Der Oberst hatte sich bis zu dem Augenblick, wo er vom Pferde gefallen war, darauf verbissen, die Reste seines Regiments wieder sammeln zu wollen. Er wurde sogleich in ein Zimmer im ersten Stock gebracht, und da Bouroche, der hinaufeilte, nur einen Riß im Knöchel finden konnte, so beschränkte er sich darauf, einen Verband auf die Wunde zu legen und den mit hineingedrungenen Fetzen Stiefelleder zu entfernen. Er war gänzlich außer Rand und Band und schrie im Heruntergehen voller Verzweiflung, er wolle lieber sich selbst ein Bein abschneiden, als seinen Beruf weiter in so schwieriger Weise ohne ordentliches Gerät und die notwendigen Hilfskräfte auszuüben. Tatsächlich wußte niemand mehr, wo noch Verwundete untergebracht werden könnten, und man hatte sich bereits entschlossen, sie auf dem Rasen ins Gras zu legen. Zwei Reihen warteten dort schon, jammervoll klagend, unter freiem Himmel in dem fortdauernden Granatenregen. Die seit Mittag im Lazarett eingelieferte Menschenzahl überstieg bereits vierhundert, und der Stabsarzt hatte schon um chirurgische Hilfe ersucht, ohne daß man ihm mehr als einen jungen Arzt aus der Stadt schickte. Er

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