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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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hatte. Die vom Blutzusammengeklebten Haare hatten einen Pfropfen gebildet. Er nahm sich sehr in acht, sie nicht naß zu machen, damit die Wunde sich nicht wieder öffne.
    »So, nun bist du wieder sauber, nun siehst du wieder wie ein Mensch aus... Warte mal, ich muß dir was auf den Kopf setzen.«
    Und er nahm neben sich das Käppi eines gefallenen Soldaten und setzte es ihm vorsichtig auf.
    »Das ist gerade deine Nummer... So, nun kann's weitergehen, jetzt sind wir ein paar feine Jungens.«
    Jean stand auf und schüttelte den Kopf, um sicher zu sein, daß er in Ordnung wäre. Der Schädel war ihm nur noch etwas schwer. Es würde schon gehen. Die Zärtlichkeit einfacher Naturen packte ihn, er riß Maurice an sein Herz und erstickte ihn fast; er fand keine andern Worte als:
    »Ach! mein lieber Junge, mein lieber Junge!«
    Aber die Preußen kamen heran und er lief schleunigst hinter der Mauer weiter. Leutnant Rochas mit seinen paar Leuten zog sich schon weiter zurück als Bedeckung für die Fahne, die der Unterleutnant um die Stange gewickelt im Arme trug. Lapoulle, der sehr groß war, konnte, wenn er sich auf die Zehen stellte, noch über die Mauerkrone feuern. Pache dagegen hatte seinen Chassepot umgehängt; er dachte offenbar, nun wäre es genug und sie könnten erst mal essen und dann schlafen. Jean und Maurice duckten sich zusammen und beeilten sich, zu ihnen zu kommen. An Gewehren und Patronen war kein Mangel: sie brauchten sich nur zu bücken. Sie bewaffneten sich also wieder, denn Tornister und alles übrige hatten sie da oben liegen lassen, als der eine den andern auf den Buckel nehmen mußte. Die Mauer erstreckte sich bis an das Garennegehölz, und nun warf sich der kleineTrupp, der sich schon für gerettet hielt, schleunigst hinter einen Hof und gewann von dort aus den Wald.
    »Ach,« meinte Rochas, der sein schönes unerschütterliches Vertrauen noch beibehalten hatte, »hier wollen wir uns einen Augenblick verpusten, und dann wollen wir wieder angreifen.«
    Aber schon nach den ersten Schritten merkten alle, daß sie in eine Hölle geraten waren; zurück konnten sie nicht, ihre einzige Rückzugslinie ging trotz allem mitten durch das Gehölz durch. Um diese Zeit wurde es fürchterlich in dem Gehölz, es wurde zu einem Walde der Verzweiflung und des Todes. Die Preußen hatten bemerkt, daß die Truppen sich hier hindurch zurückzogen; sie durchlöcherten es daher mit Gewehrkugeln und bedeckten es mit Granaten. Es war, als ob ein Gewittersturm es peitschte, so brauste und heulte es in seinen Zweigen. Die Granaten brachen die Stämme ab und die Gewehrkugeln ließen einen Regen von Blättern herniederrieseln; es war, als brächen aus den zerspaltenen Stämmen klagende Stimmen hervor, und wenn die von Saft überströmten Zweige zu Boden sanken, hörte es sich an wie Schluchzen. Man hätte es für die Klagen einer gefesselten Menge halten können, für den Ausdruck der Angst und das Geschrei Tausender an den Boden genagelter Wesen, die diesem Feuer nicht entfliehen konnten. Niemals kam Angst so zum Ausdruck wie in diesem unter Feuer stehenden Walde.
    Sofort kam nun die Furcht über Jean und Maurice, die ihre Waffengefährten nun wieder erreicht hatten. Es ging jetzt im hohen Unterholz dahin, und sie konnten laufen. Aber Kugeln pfiffen kreuz und quer, und es war bei diesem Von-Baum-zu-Baum-schlüpfen unmöglich, eine bestimmte Richtung mit Sicherheit anzugeben. Zwei Leute fielen, von vorn und von hinten getroffen. Vor Maurice brach eine hundertjährigeEiche, der eine Granate den Stamm durchbohrt hatte, mit der tragischen Erhabenheit eines Helden zusammen und schlug alles um sich her mit nieder. Und im selben Augenblick, als der junge Mann zurücksprang, brach links von ihm eine Riesenbuche, der eine Granate die Krone abgebrochen hatte, mit zerspaltenem Stamme wie ein geborstener Pfeiler in einer Kirche nieder. Wohin sollten sie fliehen? Wohin sich wenden? Von allen Seiten brachen Äste hernieder; es war, wie wenn einem riesigen Gebäude der Einsturz droht und die Räume nacheinander durch die zerbröckelnden Decken zu stürzen beginnen. Als sie gerade, um dem Zusammenbruch dieser Riesenstämme zu entgehen, in ein Dickicht sprangen, wurde Jean beinahe von einem Geschoß mitten entzweigerissen, das glücklicherweise nicht platzte. Dünne Ranken schlangen sich ihnen um die Schultern; hohes Kraut flocht sich ihnen um die Knöchel; mit einemmal wurden sie von undurchdringlichen Mauern von Gestrüpp festgehalten, während

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