Der Zusammenbruch
und versengte ihn; offenbar aber waren ihm die Hüften zerschmettert, er konnte sich nicht rühren und weinte heiße Tränen. Noch weiter hin lag ein Hauptmann auf der Seite, dem der linke Arm abgerissen und die rechte Seite bis auf den Schenkel aufgeschlitzt war; er richtete sich auf den Ellbogen auf und bat flehentlich mit durchdringender Stimme um den Gnadenstoß. Andere und wieder andere litten entsetzlich; sie lagen so zahlreich auf den kräuterbedeckten Pfaden umher, daß man sich in acht nehmen mußte, um beim Weitergehen nicht auf sie zu treten. Aber Verwundete und Tote zählten nicht mehr. Der Kamerad, der fiel, wurde im Stiche gelassen und vergessen. Kein Blick wandte sich mehr nach rückwärts. Das war Schicksal. Ein anderer kam dran, vielleicht man selbst.
Als sie an den Waldrand kamen, ertönte plötzlich ein Hilferuf.
»Her zu mir!«
Es war der Unterleutnant, der Fahnenträger, der eine Kugel in die linke Lunge bekommen hatte. Er war gestürzt und spie Blut aus vollem Munde. Als er sah, daß niemand sich aufhielt, hatte er noch die Kraft, sich aufzurichten und zu schreien:
»Helft der Fahne!«
Mit einem Satze war Rochas umgekehrt und hatte die Fahne gepackt, deren Stange zerbrochen war; da sagte der Unterleutnantmit leiser Stimme, und blutiger Schaum machte seine Worte undeutlich:
»Ich habe mein Teil, ich gehe ... Retten Sie die Fahne.«
Damit blieb er allein und wand sich auf dem Moose dieses entzückenden Waldwinkels; seine zusammengekrampften Hände rissen um ihn herum die Kräuter aus, und seine Brust hob ein Röcheln, das noch stundenlang dauern sollte.
Endlich waren sie aus diesem fürchterlichen Walde heraus. Mit Maurice und Jean waren von dem kleinen Trupp nur Leutnant Rochas, Pache und Lapoulle übergeblieben. Gaude, den sie aus Sicht verloren hatten, kam allein aus dem Dickicht und rannte, sein Horn umgehängt, um die Kameraden wieder einzuholen. Es war wirklich ein Trost, wieder auf der kahlen Ebene zu sein, wo man doch nach Gutdünken atmen konnte. Das Pfeifen der Kugeln hatte aufgehört und auf dieser Seite des Tales fielen keine Granaten mehr.
Unmittelbar darauf hörten sie vor dem Einfahrtstor eines Hofes lautes Fluchen und sahen einen tobenden General auf schweißbedecktem Pferde. Es war General Bourgain-Desfeuilles, ihr Brigadeführer, der selbst auch ganz mit Staub bedeckt war und von Müdigkeit zerbrochen schien. Sein dickes rotes Lebemannsgesicht drückte Verzweiflung über das Unglück aus, das er als ein ihn ganz persönlich angehendes Mißgeschick betrachtete. Seit dem Morgen hatten seine Soldaten ihn nicht mehr zu sehen gekriegt. Ohne Zweifel hatte er sich auf dem Schlachtfelde verirrt und war hinter den Resten seiner Brigade hergerannt, denn in seinem Zorne gegen die preußischen Batterien, die mit dem Kaiserreich auch seine Stellung als die eines Lieblingsoffiziers der Tuilerien hinwegfegten, hätte er es sehr wohl fertiggebracht, sich töten zu lassen.
»Gottsdonnerwetter noch mal!« schrie er. »Ist hier denn kein Mensch, kann man denn nirgends Auskunft erhalten in diesem verdammten Lande!«
Die Einwohner des Hofes mußten wohl in die Tiefe der Wilder geflüchtet sein. Schließlich erschien eine sehr alte Frau unter dem Tor, eine Art vergessene Magd, die ihre schlimmen Beine hier festhielten.
»He, Mutter! hierher! ... Wo liegt denn Belgien?«
Sie sah ihn ganz verdutzt an, und man sah es ihr an, daß sie ihn nicht begriff. Da verlor er nun jegliche Haltung; er vergaß, daß er mit einer Bäuerin sprach, und brüllte, er hätte keine Lust, sich wie ein Gimpel in der Schlinge fangen zu lassen und nach Sedan hineinzurennen, er wollte schleunigst ins Ausland auskneifen, und zwar fix! Einige Soldaten waren nähergetreten und hörten zu.
»Aber Herr General,« sagte ein Sergeant, »wir kommen ja nicht mehr durch, die Preußen stehen überall ... Heute morgen hätten wir ausreißen sollen.«
Tatsächlich liefen bereits Geschichten von Kompanien um, die von ihren Regimentern getrennt worden und, ohne es zu wollen, über die Grenze geraten waren, und von andern, die sich später tapfer einen Durchbruch durch die feindlichen Linien erzwungen hätten, ehe die Vereinigung vollständig geworden wäre.
Außer sich zuckte der General die Achseln.
»Na, kann man mit so fixen Leuten wie ihr nicht überall durchkommen, wohin man will? ... Ich möchte wohl so'n Schock tüchtige Kerls finden, denen es nicht drauf ankommt, sich den Schädel einschlagen zu lassen.«
Dann wandte
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