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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Republik ganz lieb ... Ja, das liegt mir so im Blut, ich habe es wohl noch von meinem Großvater her... Aber nun ist auf dieser Seite auch alles faul; wohin werden wir bloß fallen?«
    Seine Augen irrten umher und seine Klagen waren so schmerzerfüllt, daß Jean sich in seiner Besorgnis entschloß aufzustehen, als er Henriette hereinkommen sah. Sie war gerade von dem Geräusch von Stimmen im Nebenzimmer aufgewacht. Ein blasses Tageslicht erhellte jetzt das Zimmer.
    »Sie kommen wie gerufen, um ihn auszuschelten,« sagte er und tat, als lachte er. »Er ist ganz unvernünftig.«
    Aber der Anblick seiner Schwester, so blaß, so kummervoll, brachte in Maurice bei seiner zärtlichen Zuneigung zu ihreine heilsame Wendung hervor. Er öffnete die Arme und zog sie an seine Brust; und als sie sich ihm an den Hals warf, durchdrang ihn eine große Süßigkeit. Auch sie weinte nun, und ihre Tränen vermengten sich.
    »Ach, mein armer, armer Liebling, wie hasse ich mich, daß ich dich nicht besser trösten kann!... Der gute Weiß, dein Mann, der dich so liebhatte! Was soll nun aus dir werden? Du warst auch immer das Opferlamm und hast dich nie beklagt... Und ich habe dir auch schon soviel Kummer gemacht, und wer weiß, ob ich dir nicht noch mehr machen werde?«
    Sie brachte ihn zum Schweigen, indem sie ihm die Hand auf den Mund legte, als Delaherche eintrat, ganz verstört und außer sich. Er war schließlich von der Plattform wieder nach unten gegangen, da ihn ein nervöser Heißhunger packte, den die Übermüdung noch bis zur Verzweiflung steigerte; und als er in die Küche gegangen war, um irgend etwas Warmes zu trinken, hatte er dort bei der Köchin einen ihrer Verwandten gefunden, einen Tischler aus Bazeilles, der als einer der letzten Einwohner dortgeblieben war, und der hatte ihm erzählt, daß seine Färberei vollständig zerstört, ein Trümmerhaufen sei.
    »Was? Solche Räuber, sollte man's glauben?« wandte er sich stammelnd zu Maurice und Jean. »Alles ist verloren, heute morgen werden sie Sedan in Brand stecken, wie sie gestern Bazeilles angesteckt haben... Ich bin zugrunde gerichtet, ich bin zugrunde gerichtet!«
    Henriettes Stirnwunde erregte seine Aufmerksamkeit, und er erinnerte sich, daß er noch gar nicht mit ihr gesprochen habe.
    »Richtig, Sie sind ja dorthin gegangen und haben das dabei abgekriegt... Ach, der arme Weiß!«Und als er an den roten Augen der jungen Frau plötzlich sah, daß sie von dem Tode ihres Mannes unterrichtet sei, schoß er mit einer greulichen Begebenheit los, die ihm der Tischler gerade erzählt hatte.
    »Der arme Weiß! Scheinbar haben sie ihn verbrannt... Ja, sie haben die Körper der erschossenen Einwohner gesammelt und sie in die Glut eines brennenden Hauses geworfen, das mit Petroleum besprengt war.«
    Von Entsetzen ergriffen hörte Henriette ihn an. Mein Gott! Nicht einmal den Trost sollte sie haben, ihren lieben Toten zurückholen und beerdigen zu können, seine Asche würde nun der Wind verwehen! Maurice schloß sie wieder in seine Arme, er nannte sie mit zärtlicher Stimme sein armes Aschenbrödel und flehte sie an, sich nicht so zu grämen, sie wäre ja doch so tapfer.
    Nach einer stummen Pause wandte sich Delaherche, der vom Fenster aus beobachtete, wie das Tageslicht zunahm, zu den beiden Soldaten und sagte zu ihnen voller Lebhaftigkeit:
    »Bei der Gelegenheit, das hätte ich fast vergessen... Ich kam herauf, um Ihnen zu sagen, unten im Wagenschuppen, wo die Kriegskasse untergebracht war, ist ein Offizier gerade dabei, das Geld unter die Mannschaften zu verteilen, damit die Preußen es nicht kriegen ... Sie sollten hinuntergehen, etwas Geld kann Ihnen sehr nützlich werden, wenn wir heute abend nicht alle tot sind.«
    Der Rat war gut, Maurice und Jean gingen hinunter, nachdem Henriette eingewilligt hatte, ihres Bruders Platz auf dem Sofa einzunehmen. Delaherche ging in das Zimmer nebenan, wo er Gilberte mit ruhigem Gesicht immer noch in ihrem Kinderschlafe vorfand, ohne daß das Geräusch der Stimmenund das Schluchzen sie auch nur ihre Stellung hätten ändern lassen. Hierauf steckte er den Kopf in das Zimmer, wo seine Mutter bei Herrn von Vineuil wachte; aber die war nun in ihren Lehnstuhl zurückgesunken und eingeschlummert, während der Oberst mit geschlossenen Lidern, vom Fieber ermattet, sich nicht rührte.
    Jetzt riß er die Augen weit auf und fragte:
    »Nun, es ist aus, nicht wahr?«
    Da ihm diese Frage sehr in die Quere kam, weil er sich gerade im selben Augenblick

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