Der Zusammenbruch
festgehalten sah, als er entschlüpfen wollte, machte Delaherche eine wütende Bewegung und die Stimme versagte ihm:
»Ach, ja wohl! Zu Ende! Bis es wieder anfängt... Nichts ist unterzeichnet.«
Mit sehr leiser Stimme fuhr der Oberst nun in beginnendem Irrsein fort:
»Mein Gott, könnte ich doch sterben, ehe es vorbei ist!... Ich höre kein Geschütz mehr. Warum schießen sie denn nicht mehr? ... Da oben bei Saint-Menges und Fleigneur beherrschen wir alle Straßen, wir können die Preußen in die Maas werfen, wenn sie Sedan umgehen wollen, um uns anzugreifen. Die Stadt liegt zu unsern Füßen und bildet so ein Hindernis, das unsere Stellungen noch verstärkt... Vorwärts! Das siebente Korps nimmt die Spitze, das zwölfte soll den Rückzug decken...«
Und seine Hände fuhren auf der Decke herum und bewegten sich wie beim Trabe seines Pferdes, das ihn im Traume trug. Allmählich wurden ihre Bewegungen langsamer, je schwerfälliger ihm beim Wiedereinschlafen die Worte kamen. Sie standen still, und ohne einen Atemzug lag er wie ein Toter da.»Ruhen Sie sich nur aus,« flüsterte Delaherche ihm noch zu, »ich komme wieder, sobald ich etwas Neues weiß.«
Nachdem er sich dann noch vergewissert hatte, daß er seine Mutter nicht aufgeweckt hätte, machte er sich davon und verschwand.
Unten im Wagenschuppen fanden Jean und Maurice tatsächlich auf einem Küchenstuhl sitzend einen Zahlmeister, der nur durch einen kleinen weißgescheuerten Tisch vor sich geschützt war und ohne Feder, ohne Empfangsbescheinigung, ohne irgendwelches Papier seine Schätze verteilte. Er schöpfte einfach die Goldstücke aus den überquellenden Säcken heraus und schüttete sie, ohne sich auch nur die Mühe des Zählens zu machen, mit raschen Handgriffen in die Käppis der an ihm vorbeiziehenden Sergeanten des siebenten Korps. Es war vereinbart, die Sergeanten sollten sie dann weiter unter die Leute ihrer Halbzüge verteilen. Alle empfingen das Gold mit linkischer Miene wie ihr Teil Kaffee oder Eßwaren und zogen dann ab, nachdem sie vorher noch ganz verlegen die Käppis in ihre Taschen entleerten, damit sie sich nicht mit all dem Gold bei hellichtem Tage auf der Straße sehen lassen brauchten. Kein Wort wurde gesprochen, es war nichts zu hören als das metallische Rieseln der Goldstücke, so starr waren alle diese armen Teufel bei der plötzlichen Überflutung durch einen solchen Reichtum, und dabei gab es doch in der ganzen Stadt kein Brot und keinen Liter Wein mehr zu kaufen.
Als Jean und Maurice vortraten, zog der Zahlmeister zuerst die Handvoll Goldstücke, die er gerade vorstreckte, wieder zurück.
»Sie sind alle beide keine Sergeanten... Nur Sergeanten dürfen Geld in Empfang nehmen...«Aber er war schon müde und wollte schnell fertig werden:
»Na, Korporal, nehmen Sie nur immerhin ... Schnell, der nächste!«
Und er ließ die Goldstücke in das von Jean hingehaltene Käppi fallen. Der war ganz aufgeregt über die Höhe der erhaltenen Summe, fast sechshundert Francs, und verlangte sofort, Maurice solle die Hälfte davon nehmen. Man könnte doch nicht wissen, sie konnten plötzlich voneinander getrennt werden.
Im Garten vor dem Lazarett nahmen sie die Teilung vor; dann gingen sie hinein und fanden da auf dem Stroh dicht bei der Tür den Trommler ihrer Kompanie, Bastian, einen dicken, vergnügten Bengel, der das Pech gehabt hatte, gegen fünf Uhr, als die Schlacht schon zu Ende war, eine verirrte Kugel in die Leistengegend zu kriegen. Er lag seit gestern abend im Todeskampf.
Der Anblick des Lazaretts, jetzt im Augenblick des Erwachens, beim ersten matten Tageslicht, ließ sie zu Eis erstarren. Drei Verwundete waren während der Nacht noch gestorben, ohne daß man es gemerkt hätte; und die Lazarettgehilfen waren schnell bei der Hand, um Platz für andere zu schaffen, indem sie die Leichen wegtrugen. Die gestern Operierten rissen in ihrer Schlaftrunkenheit die Augen weit auf und sahen verstört in diesem weiten Schlafsaal des Leidens umher, wo auch eine ganze Herde Verstümmelter auf der Streu lag. Es nützte wenig, daß am Abend vorher noch einmal ausgefegt war, daß nach der blutigen Kocherei der Operationen noch etwas große Wäsche gehalten wurde: der schlecht aufgewischte Boden zeigte doch noch Blutspuren, ein großer Schwamm mit Blutflecken, der wie ein Gehirn aussah, trieb in einem Eimer umher; eine Hand mit abgerissenen Fingernwar vergessen worden und lag dicht bei der Schuppentür. So sah der Abfall beim Schlachten, sahen
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