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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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an blieb die Tür den ganzen Tag wie zugemauert. Wenn der Verwundete nachts irgend etwas brauchte, brauchte er nur an die Wand zu klopfen, denn das benachbarte Zimmer war von Henriette bewohnt. Und so fand sich Jean plötzlich nach so stürmischdrangvollen Wochen von aller Welt abgeschlossen und sah nur noch die junge, sanfte Frau, deren leichter Schritt nicht das leiseste Geräusch verursachte. Jetzt kam sie ihm wieder so vor wie damals das erstemal dort hinten in Sedan, wie eine Erscheinung, mit ihrem etwas großen Munde, ihren feinen Zügen, den Haaren wie reifer Hafer, wenn sie sich mit ihm in ihrer unendlichen gütigen Weise zu tun machte.
    Die ersten Tage war das Fieber des Verwundeten so hoch, daß Henriette ihn kaum verlassen durfte. Doktor Dalichampkam jeden Morgen beim Vorbeigehen herein unter dem Vorwande, sie abzuholen und mit nach dem Lazarett zu nehmen; und dann untersuchte er Jean und verband ihn. Da die Kugel das Schienbein zerschmettert hatte und dann wieder ausgetreten war, wunderte er sich über das schlechte Aussehen der Wunde und befürchtete, ein Knochensplitter sei darin steckengeblieben, der mit der Sonde nicht zu fühlen sei und ihn zu einer Entfernung des ganzen Knochens zwingen könnte. Er hatte mit Jean darüber gesprochen; aber der hatte sich bei dem Gedanken an eine Verkürzung des Beines, durch die er hinken würde, heftig gesträubt: nein, nein! Lieber wollte er sterben, als Krüppel bleiben. Und der Doktor beobachtete die Verwundung weiter und begnügte sich damit, sie mit in Olivenöl und Karbolsäure getränkter Watte zu verbinden, nachdem er ein Drän, ein Gummiröhrchen, in die Wunde gelegt hatte, um den Abfluß des Eiters zu erleichtern. Aber er machte ihn doch darauf aufmerksam, daß die Heilung ohne jeden Eingriff sehr langwierig sein werde. Nach der zweiten Woche ließ das Fieber jedoch nach, sein Zustand besserte sich, wenn er auch noch völlig unbeweglich blieb.
    Die Vertraulichkeit zwischen Jean und Henriette geriet nun in geregelte Bahnen. Es bildeten sich bestimmte Gewohnheiten aus, und es schien ihnen, als hätten sie nie anders gelebt und müßten auch zukünftig immer so weiter leben. Sie brachte jede Stunde, die sie nicht im Lazarett war, bei ihm zu, achtete darauf, daß er regelmäßig aß und trank, und half ihm, wenn er sich umdrehen wollte, mit einer Kraft in ihren Handgelenken, die man ihren zierlichen Armen gar nicht zugetraut hätte. Zuweilen plauderten sie zusammen; meistens aber sagten sie gar nichts, vor allem zu Anfang. Aber sie langweilten sich scheinbar nie, das Leben floß ihnen äußerstsanft in dieser tiefen Ruhe dahin, er noch ganz zermartert von der Schlacht, sie in ihrem Witwenkleide mit einem Herzen, das noch ganz zerbrochen war von dem erlittenen Verlust. Zunächst hatte er so etwas wie Scham empfunden, denn er fühlte wohl, wie hoch sie über ihm stand, daß sie fast eine Dame war, während er doch stets nichts weiter als ein Bauer und Soldat gewesen war. Er konnte ja kaum lesen und schreiben. Dann aber wurde er doch etwas sicherer, als er sah, daß sie ihn ganz ohne Stolz wie einen ihresgleichen behandelte, und das ermutigte ihn nun auch, sich so zu geben, wie er wirklich war, klug auf seine Weise, infolge seines ruhigen Nachdenkens. Übrigens wunderte er sich über sich selbst, daß er sich soviel dünner und leichter geworden fühlte und ganz anders dachte: kam das von dem greulichen Leben, das er zwei Monate lang geführt hatte? Er ging aus all den körperlichen und seelischen Leiden tatsächlich verfeinert hervor. Was ihn aber schließlich ganz gefangennahm, war, daß er fand, sie selbst wüßte auch nicht viel mehr als er. Sehr jung war sie nach dem Tode ihrer Mutter zum Aschenbrödel geworden, zum kleinen Hausmütterchen, das für seine drei Männer sorgen mußte, wie sie ihren Großvater, ihren Vater und ihren Bruder nannte, so daß sie für sich selbst keine Zeit zum Lernen behielt. Lesen, Schreiben, etwas Rechtschreibung und Rechnen, mehr konnte man von ihr nicht verlangen. Und so verursachte sie ihm länger keine Furcht und schien ihm nur deshalb über allen andern zu stehen, weil sie so sehr gütig war und so außerordentlich mutig, obwohl sie eigentlich nur wie ein kleines, lediglich in dem Kleinkram ihres Haushaltes aufgehendes Frauchen aussah.
    Sobald sie über Maurice zu sprechen anfingen, verstanden sie sich sofort. Wenn sie sich jetzt so hingab, so war es für denFreund, für den Bruder Maurices, den braven, hilfsbereiten Mann,

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