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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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außer sich geriet und ihm das Wort abschnitt.
    »Genug! Ich habe Sie jetzt gewarnt, passen Sie auf! ... Und dann noch etwas: wir haben Sie im Verdacht, daß Sie alle hier im Dorfe im Einvernehmen mit den Franktireurs aus dem Walde von Dieulet stehen, die uns vorgestern erst wieder einen Posten ermordet haben ... Verstehen Sie, passen Sie auf!«
    Als die Preußen fort waren, zuckte Vater Fouchard mit einem unendlich verächtlichen Hohnlachen die Achseln. Verrecktes Vieh, natürlich verkaufte er ihnen das, sie brauchten überhaupt nichts anderes zu essen. All das Aas, das die Bauern ihm brachten, das an Krankheit gefallen war oder das er verreckt im Graben fand, war das nicht etwa gut genug für diese Drecklümmel?
    Er zwinkerte mit dem einen Auge, und indem er sich zu der wieder ruhig gewordenen Henriette wandte, sagte er mit einer Art spöttischer Siegermiene:
    »Na, Kleine, sollte man's denken, daß es dann noch Leute gibt, die sagen, ich wäre kein Vaterlandsfreund ... Was? Laß es sie ebenso machen und sie die Preußen auch mit verdorbenem Fleisch anschmieren, damit sie ihre Sous dafür einstecken! ... Kein Vaterlandsfreund, gottsverdammt! Ich habe mit meinen Kühen schon mehr umgebracht als mancher Soldat mit seinem Chassepot!«
    Als Jean von dieser Geschichte hörte, wurde er aber doch unruhig. Wenn die deutschen Behörden argwöhnten, die Einwohner von Remilly nähmen die Franktireurs aus dem Walde von Dieulet auf, dann konnten sie von einer Stunde zur andern Haussuchungen vornehmen und ihn entdecken. Der Gedanke, seine Wirte bloßzustellen, Henriette auch nurdie geringste Aufregung zu verursachen, war ihm unerträglich. Aber sie brachte ihn durch ihr Flehen schließlich dazu, daß er noch ein paar Tage blieb; denn seine Wunde vernarbte sehr langsam, seine Beine waren noch nicht fest genug, um zu einem der im Norden oder an der Loire im Felds stehenden Regimenter zu stoßen.
    Daher wurden denn auch die Tage bis zur Mitte Dezember die schaurigsten, schmerzlichsten ihrer ganzen Einsamkeit. Die Kälte war so durchdringend geworden, daß der Ofen das große, kahle Zimmer nicht mehr durchwärmen konnte. Wenn sie durchs Fenster den dicken Schnee draußen auf dem Erdboden liegen sahen, dann dachten sie an Maurice, der dort hinten in dem vereisten, toten Paris vergraben lag und von dem sie nichts Genaues mehr hörten. Immer wieder traten die gleichen Fragen auf: was machte er wohl, warum gab er kein Lebenszeichen von sich? Sie wagten nicht, sich ihre schrecklichen Befürchtungen zu erzählen, daß er verwundet, daß er krank, vielleicht schon tot sei. Die paar unbestimmten Nachrichten, die sie durch die Zeitungen erhielten, waren auch nicht gerade geeignet, sie ruhiger zu machen. Nach verschiedenen, als glücklich verlaufen ausgegebenen Ausfällen, die sofort widerrufen wurden, lief das Gerücht von einem großen, am 2. Dezember bei Champigny von General Ducrot davongetragenen Siege umher; später hörten sie aber ganz bestimmt, daß er am nächsten Tage gezwungen worden war, die eroberten Stellungen aufzugeben und sich über die Marne zurückzuziehen. So wurde Paris durch ein mit jeder Stunde enger werdendes Band erdrosselt, die Hungersnot begann, nach dem Hornvieh wurden die Kartoffeln beschlagnahmt, die Bürger bekamen kein Gas mehr, bald mußten die Straßen dunkel sein und nur noch der rote Flug der Granaten durchsie hindurchwirbeln. Und beide konnten sie sich nicht mehr erwärmen oder essen, ohne daß das Bild Maurices und der zwei Millionen in diesem Riesengrabe eingeschlossenen Lebewesen wie ein Spukbild vor ihnen auftauchte.
    Von allen Seiten, vom Norden sowohl wie aus der Mitte, kamen immer schlechtere Nachrichten. Im Norden hatte das zweiundzwanzigste Korps, das aus Mobilgarden, Ersatzkompagnien und Soldaten und Offizieren gebildet war, die dem Unglück bei Sedan und Metz entronnen waren, Amiens aufgeben und sich nach der Gegend von Arras zurückziehen müssen; daraufhin war dann Rouen in die Hände des Feindes gefallen, ohne daß diese Handvoll aufgelöster, entmutigter Männer es ernstlich verteidigt hätten. In Mittelfrankreich hatte der am 9. November bei Coulmiers durch die Loireabteilung davongetragene Sieg glühende Hoffnungen erweckt: Orléans wiedergenommen, die Bayern auf der Flucht, der Marsch auf Etampes, der Entsatz von Paris bevorstehend. Am 5. Dezember nahm Prinz Friedrich Karl Orléans wieder, zerschnitt die Loiregruppe in zwei Teile, von denen drei Korps sich auf Vierzon und Bourges

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