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Der Zusammenbruch

Der Zusammenbruch

Titel: Der Zusammenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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sein Haus abbrennen würde. Seine Tochter, ein großes blasses Geschöpf, weinte. Maurice aber war so schlaftrunken, daß er nicht zuhörte; er schlief im Sitzen, von demlebhaften Trab des kleinen Pferdchens eingewiegt, das die vier Meilen zwischen Vouziers und le Chêne in weniger als anderthalb Stunden zurücklegte. Es war noch nicht sieben Uhr, die Dämmerung begann gerade hereinzubrechen, als der junge Mann, erstaunt und zusammenschauernd, an der Brücke über den Kanal auf dem Platze abstieg, gegenüber dem kleinen gelben Hause, in dem er geboren war, in dem er zwanzig Jahre seines Daseins verbracht hatte. Ganz ohne nachzudenken ging er nun darauf zu, obwohl das Haus seit achtzehn Monaten an einen Tierarzt verkauft war. Dem Pächter antwortete er auf seine Frage, er wisse genau, wohin er zu gehen habe, und dankte ihm tausendmal für sein Entgegenkommen.
    Mitten auf dem kleinen dreieckigen Platz nahe beim Brunnen blieb er indessen unbeweglich stehen, betäubt, ohne jede Erinnerung. Wo wollte er denn hin? Plötzlich kam er darauf, daß er zu dem Notar gehen sollte, dessen Haus an das stieß, in dem er aufgewachsen war, und dessen Mutter, die alte, herzensgute Frau Desroches, ihn als gute Nachbarin verzogen hatte, als er noch klein war. Aber er erkannte le Chêne kaum wieder bei der außergewöhnlichen, durch die Anwesenheit eines Armeekorps in der sonst so toten kleinen Stadt hervorgerufenen Unruhe, das vor ihren Toren lagerte und die Straßen mit Offizieren, Meldereitern, Leuten aus dem Gefolge, Herumstreichern und Nachzüglern jeder Art anfüllte. Den Kanal, der die Stadt von einem Ende zum andern durchschnitt, so daß er mitten durch den Platz ging und mit seiner schmalen, steinernen Brücke die beiden Dreiecke verband, fand er wohl; da war ja wieder drüben auf dem andern Ufer die Markthalle mit ihrem moosbedeckten Dach, die Rue Berond, die links abfiel, und die Straße nach Sedan, die sichrechts hinzog. Auf der Seite aber, wo er stand, mußte er in die Höhe sehen und zunächst den schieferbedeckten Turm über dem Hause des Notars suchen, um sicher zu sein, daß dies die einsame Ecke sei, in der er Marmel gespielt hatte; ein derartiges Summen dichter Menschenströme erfüllte die Rue de Bouziers vor ihm bis ans Stadthaus. Es kam ihm vor, als ob auf dem Platz ein leerer Raum geschaffen würde, als ob jemand die Neugierigen auseinandertriebe. Und da, einen mächtigen Raum hinter dem Brunnen einnehmend, bemerkte er zu seinem Erstaunen einen ganzen Wagenpark, Gepäckwagen und Karren, ein ganzes Lager, das er sicher schon einmal gesehen hatte.
    Jetzt versank die Sonne in dem geradeauslaufenden blutroten Wasser des Kanals, und Maurice faßte gerade einen Entschluß, als eine neben ihm stehende Frau, die ihn einen Augenblick genau angesehen hatte, ausrief:
    »Aber ist es die Möglichkeit, sind Sie nicht der junge Levasseur?«
    Da erkannte er Frau Combette, die Gattin des Apothekers, dessen Laden jenseits des Platzes lag. Als er ihr erklärte, daß er Frau Desroches um ein Bett bitten wollte, zog sie ihn erregt beiseite.
    »Nein, nein, kommen Sie zu uns. Ich muß Ihnen sagen ...«
    Als sie dann in der Apotheke sorgfältig die Tür geschlossen hatte:
    »Wissen Sie denn nicht, mein lieber Junge, daß der Kaiser bei den Desroches abgestiegen ist?... Das Haus ist für ihn mit Beschlag belegt; sie sind gar nicht sehr glücklich über die Ehre, kann ich Sie versichern. Wenn man bedenkt, daß die arme alte Mama, eine Frau von über siebzig Jahren, ihre Kammer abgeben und zum Schlafen unters Dach in einDienstmädchenbett klettern mußte! ... Sehen Sie, alles, was Sie da auf dem Platze sehen, gehört dem Kaiser, nur sein Gepäck, wissen Sie!«
    Nun kamen Maurice tatsächlich all diese Personen- und Gepäckwagen, der ganze stolze Troß des kaiserlichen Haushalts wieder ins Gedächtnis, den er ja in Reims gesehen hatte.
    »Ach, mein lieber Junge, wenn Sie ahnten, was sie da herausgeholt haben, Silbergeschirr und Weinflaschen und Körbe voll Vorräte und so schönes Leinenzeug und alles! Zwei Stunden lang hörte das gar nicht auf. Ich frage mich immer, wo sie das alles haben hinstecken können, denn das Haus ist doch nicht groß ... Sehen Sie, sehen Sie nur, haben die in der Küche ein Feuer angezündet!«
    Er sah nach dem kleinen zweistöckigen, weißen Hause hinüber, das eine Ecke zwischen dem Platze und der Rue de Vouziers bildete, ein Haus von bürgerlich ruhigem Aussehen, dessen Inneres, den Mittelflur unten, die vier

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