Der Zwang zur Serie. Serienmörder ohne Maske.
Mele, bei ihrem Kind in der Klinik zu wohnen. Man stellt für sie eine Notliege neben Mary Frances' Bettchen. Nur für Stunden verläßt die Mutter das Krankenhaus, um nach Hause zu gehen. Sie wohnt nur Minuten vom Hospital entfernt. Daheim versorgt sie dann rasch ihr fünf Monate altes Adoptivkind Michael. Dann kehrt sie wieder in die Klinik zurück.
Manchmal, wenn eine Kinderschwester einen Augenblick Zeit hat, klagt ihr Marybeth Tinning ihr Leid. »Es ist Gottes Wille«, erklärt sie Schwester Patricia, »und Gottes Willen muß ich demütig hinnehmen. Aber glauben Sie mir, es fällt mir wahrlich schwer. Es ist grausam für eine Mutter, fünf Kinder zu verlieren. Um so glücklicher bin ic h, daß mir Dr. Mele meine Mary Frances gerettet hat.«
Derweil grübelt Dr. Mele unablässig darüber nach, wie es zum unaufhaltsamen Sterben von fünf Kindern der Familie Tinning und zum lebensbedrohenden Atemstillstand des sechsten Kindes kommen konnte. Ein dämonischer Fluch scheint das Dasein dieser ordentlichen und anständigen Familie zu überschatten. So oft Marybeth Tinning ein Kind zur Welt brachte, je mehr sie es unter dem Schmerz der vorangegangenen Verluste umsorgte, es niedlich kleidete, mit Spielzeug überhäufte, es voller Stolz ihren Freunden, Verwandten, Arbeitskolleginnen und Ärzten präsentierte – um so härter traf sie dann jedesmal der unausbleibliche Schicksalsschlag. Jennifer starb im Alter von sieben Tagen, vermutlich an einem Gehirnabszeß. Vierzehn Tage später folgte ihr der zweijährige Joseph in den Tod, wiederum sechs Wochen danach Barbara im Alter von fünf Jahren. Drei Todesfälle innerhalb von acht Wochen! Ein Jahr später erlitt Timothy im Alter von sechs Wochen den plötzlichen Kindstod, zwei Jahre später Nathan, der gerade fünf Monate gelebt hatte.
Dr. Mele ist ratlos. So unterschiedlich die Todesursachen auch gewesen sein mögen – ob Gehirnabszeß, Lungenentzündung, Herzstillstand, plötzlicher Kindstod – fünf Tote, das ist doch kein Zufall, hier muß irgendeine geheimnisvolle Macht tätig sein.
Seine Unfähigkeit, sie zu entdecken, verstört Dr. Mele. Eines Tages nimmt er zwei Kinderschwestern, Patricia »Trish« und Patricia »Pat« beiseite: »Habt ihr irgendeine Erklärung für die rätselhaften Todesfälle?«
Die Schwestern blicken einander schweigend an. »Heraus mit der Sprache!« fordert der Doktor. »Marybeth tut uns so leid«, erwidert Patricia »Pat«, »wenn sie uns von ihren toten Kindern erzählt. Wie hübsch sie waren, wie reizend. Und wie sie starben. Wie sie im Sarg lagen. Marybeth weint dann und kann sich nicht wieder beruhigen. Aber Doktor, fünf tote Kinder – wir glauben beide nicht, daß das ein Zufall ist.«
»Ich auch nicht«, gesteht Dr. Mele.
»Und auch nicht Gottes Wille, wie Marybeth behauptet.
So grausam kann Gott nicht sein. Wir glauben eher –« Sie verstummt.
»Nun?« drängt der Arzt.
»Wir glauben eher, Marybeth hat da nachgeholfen.« »Nachgeholfen? Was meinen Sie damit?«
»Haben Sie Marybeth einmal bewußt beobachtet, wenn sie ihre Geschichten erzählt? Sie kann einem dabei nicht in die Augen blicken. Sie schaut immer weg. Sie lügt. Sie hat ihre Kinder umgebracht, uns kann sie nicht täuschen.«
Dr. Mele ist entsetzt. »Niemals!« Und wiederholt: »Niemals! Eine so liebevolle Mutter!« Er schüttelt abwehrend den Kopf, denkt nach, sagt dann: »Es gibt da etwas, was wir nicht kennen. Irgendeine rätselhafte Macht. Ich komme immer mehr zur Ansicht, es ist ein genetischer Fehler. Die Familie ist von einem Todes-Gen befallen.«
Er sieht die Skepsis im Gesicht der Schwestern. »Wir müssen es finden«, sagt er entschlossen, »sonst wird auch die arme Mary Frances sein Opfer.«
»Und wenn Mary Frances das Opfer einer Mißhandlung geworden wäre?« fragt Pat »Trish«.
»Ich habe das Kind sorgfältig untersucht. Keinerlei Verletzungen. Trauen Sie einer so fürsorglichen Mutter überhaupt zu, daß sie ihr Kind mißhandelt?«
Die beiden Schwestern geben sich nicht mit Dr. Meles Ansicht zufrieden. Sie benachrichtigen das Sozialamt von ihrem Verdacht. Das Sozialamt ist verpflichtet, einem Verdacht auf Kindesmißhandlung nachzugehen. Eine Mitarbeiterin sucht die Klinik auf, spricht mit Dr. Mele, der die Möglichkeit einer Mißhandlung entschieden verneint.
Mary Frances, behütet von ihrer liebevollen Mutter, geht es von Tag zu Tag besser. Das Sozialamt legt den Hinweis der Schwestern zu den Akten.
Einige Tage später könnte Mary Frances
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