Der Zwang zur Serie. Serienmörder ohne Maske.
langen Gesprächen Serienmörder analysiert und dabei all das erfahren, was er dann zum Täterprofil und zum allgemeinen Handlungsmuster eines Serienmörders systematisiert hat. Trotzdem hat Ressler seine Einsichten nicht aus den Selbstbekenntnissen und -erkenntnissen der Täter gewonnen, sondern aus ihrer Lebensgeschichte abgeleitet. Die Serienmörder haben ihre wirklichen Motive zum größten Teil ins Unterbewußtsein verdrängt. Es gibt Äußerungen Dahmers, er habe unter dem ständigen Streit seiner Eltern, seinem Verlassensein, seiner Einsamkeit gelitten. Und daß ihn seine homosexuelle Veranlagung gequält und er Homosexuelle deshalb gehaßt habe. Er bezeichnete sie als »Scheißtunten«. Deshalb hielt man im Prozeß auch den Haß gegen Homosexuelle für ein mögliches Mordmotiv. Aber nicht alle seine Opfer waren Homosexuelle. Vielleicht versuchte Dahmer mit seinem vermeintlichen Haß auf Homosexuelle nur ein rational verständliches Motiv für seine weitgehend irrationalen Triebkräfte zu finden. Über seine Gespräche mit Dahmer sagte Ressler: »Nach dem Interview hatte ich nur noch Mitleid mit diesem innerlich total zerrissenen Menschen. Er war so offen und kooperativ wie kaum einer vor ihm, und doch kam er nicht dahinter, warum und wie er diese schrecklichen Morde hatte begehen können. Was er begriff, das war das Ausmaß, in dem seine Zwangsvorstellungen und Phantasien von ihm Besitz ergriffen und ihn von Mord zu Mord getrieben hatten. Für mich stand fest, daß dieser Mann, der sich das Leben selbst zur Hölle machte, zum Zeitpunkt der Verbrechen auf keinen Fall zurechnungsfähig gewesen sein kann.«
Nicht zurechnungsfähig – diese Ansicht Resslers scheint noch durch eine andere Tatsache bestätigt zu werden. Dahmer hatte seine Verbrechen niemals raffiniert getarnt. Er suchte seine Opfer in aller Öffentlichkeit, ließ sich mit ihnen sehen, tötete sie in der eigenen Wohnung in einem belebten Großstadthaus. Schädel seiner Opfer lagen offen in einem Regal, das riesige Säurefaß stand sichtbar im Zimmer, der Leichengeruch drang bis in den Hausflur hinaus. Durch seine Nachlässigkeit entkam ihm mehrmals ein Opfer. Einer von Dahmers Psychiatern glaubte deshalb, Dahmer wurde schließlich gefaßt, weil er gefaßt werden wollte.
Beging Dahmer also wie auch andere Verbrecher »Selbstverrat«?
Als Selbstverrat bezeichnen Tiefenpsychologen das unbewußte Streben eines Straftäters, sich durch verräterische Handlungen vor, während oder nach der Tat der Justiz auszuliefern.
Der Schweizer Kriminologe R. Herren spricht von einem »dunklen unbewußten Zwang, der gegen die rationalen Interessen des Ichs des Täters agiert«. Verantwortlich dafür sei der »innere Richter«, das unbewußt wirkende Gewissen, das den Täter zur Selbstbestrafung dränge – vorausgesetzt, er besitze eine Einsicht in Gut und Böse und in die eigene Schuld. Jene sonst unverständliche Handlungsweise Dahmers könnte also ein solcher Selbstverrat sein, der Drang, endlich dem verhaßten Teufelskreis zu entfliehen. Dahmer besaß Einsicht in die eigene Schuld, also die Voraussetzung für Selbstverrat und Selbstbestrafung. »Es ist alles meine Schuld«, bekannte er bei einer Vernehmung, »ich will einen Schlußstrich ziehen. Niemand außer mir trägt die Schuld.«
Der Fall Jeffrey Dahmer stünde in einem »Rekordbuch der Serienmörder« nicht nur wegen der Anzahl und der Scheußlichkeit seiner Morde mit an der Spitze. Unabhängig von den psychiatrischen Gutachten gibt es ein aufschlußreiche? Psychogramm des Täters, das noch auf andere Ursachen für seine sadistischen Verbrechen hinweist. Jeffs Vater Lionel Dahmer, tief erschüttert von den Taten seines Sohnes, fragte sich mit selbstquälerischer Unerbittlichkeit, welche Schuld er selbst an der Deformation seines Sohnes trage. Am meisten bedrückt Lionel Dahmer die Frage, warum er die dämonischen Mächte, die von seinem Sohn Besitz ergriffen hatten, nicht schon frühzeitig hätte erkennen und bekämpfen können. Er findet keine Antwort darauf, weil im nachhinein, mit dem Wissen um alle Verbrechen, jedes damals harmlose Ereignis aus Jeffs Kindheit eine düstere Bedeutung erhält: »Alles ist heute Teil dessen, was er als Erwachsener getan hat. Ich weiß darum überhaupt nicht mehr, ob ein Erlebnis als normal anzusehen ist oder ob es ein bedenkliches Zeichen war, eine alltägliche oder eine unheilschwangere Begebenheit.« Deutete sich beispielsweise in Jeffs Manie, Tierkadaver und
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