Der Zweite Messias
gemeißelten, erigierten Penis, der auf das Bordell gerichtet war. Sie kicherte. »Ein interessanter Wegweiser.«
»Du sagst es. Doch die Unmoral der Stadt hatte einen hohen Preis. Du wirst gleich verstehen, was ich meine. Und das ist ziemlich grausam.«Sie gelangten zu mehreren Steinstufen, die unter einem Torbogen hindurchführten. »Diese Stufen«, erklärte Jack, »führen zu einem Teil des römischen Abwassersystems, in dem wir bei unserer Grabungen Knochen von Kindern gefunden haben.«
»Wieso Kinderknochen?«, fragte Yasmin.
»Die Frauen, die im Bordell arbeiteten, haben ihren unerwünschten Nachwuchs häufig ertränkt. Normale Bürger ebenso, wenn die Kinder behindert waren oder wenn es sich um unerwünschte Mädchen handelte.«
Yasmin zuckte zusammen. »Das ist ja grauenhaft!«
»Die römische Gesellschaft hat die Tugend des Mitleids nicht gerade kultiviert«, sagte Jack. »Aber sie kannte auch die Gnade. Wenn ein Gladiator mutig in der Arena gekämpft hatte, wurde ihm das Leben geschenkt. Grundsätzlich aber war die Wiege der modernen Zivilisation ein brutaler Ort, an dem das Leben nicht viel wert war.«
Das gelbe Licht der Lampe fiel auf eine verwitterte lateinische Inschrift, die in verblassten schwarzen Buchstaben in den Torbogen gemeißelt war. Yasmin betrachtete sie mit fragendem Blick. »Was steht da?«
»›Die Toten ruhen in Frieden, und die Lebenden werden bald zu ihnen kommen.‹«
Yasmin fröstelte. »Hoffentlich ist das kein schlechtes Omen.«
Eine fette Ratte huschte an ihnen vorbei, flitzte die Stufen hinunter und verschwand in der Kanalisation. Yasmin wich zurück und unterdrückte einen Schrei. »O Gott! Hast du das gesehen?«
»Ich hätte dich warnen müssen. Die Ratten hier unten sind groß wie Schoßhunde.« Jack hielt die Lampe hoch. »Wir sind da.«
Zehn Meter hinter dem Torbogen befand sich eine Mauer,mindestens zwei Meter hoch und fast vollständig von einem Berg aus Schutt verdeckt.
»Hast du nicht gesagt, hier wären Neros Marmorplatten?«
Jack wischte sich verwirrt über die Stirn. »Hier waren sie auch. Wenn man durch diesen Torbogen hier ging, kam man dorthin. Ich erinnere mich genau, weil der Abwasserkanal ganz in der Nähe war.«
Er ließ das Licht über den Trümmerhaufen gleiten. Dann kniete er sich hin, stellte die Lampe auf den Boden und schaufelte die Trümmer mit beiden Händen zur Seite. »Vielleicht hat es hier einen Steinschlag gegeben, aber die Decke sieht ziemlich stabil aus. Oder jemand hat die Marmorplatten absichtlich hinter Schutt versteckt.«
»Warum sollte jemand so etwas tun?«
Von Jacks Gesicht tropfte der Schweiß. Er zog die Jacke aus und räumte dann mit beiden Armen größere Brocken aus dem Weg. »Gute Frage. Komm, hilf mir. Wenn wir erst mal einen Teil der Trümmer zur Seite geräumt haben, finden wir den Eingang.«
79.
»Bleib endlich stehen, Ari, sonst verblutest du«, rief Lela.
Sie rannten durch die schmalen Gassen unweit des Petersplatzes. Hinter ihnen drängten sich die Menschenmassen. Lela führte Ari in eine stille Seitenstraße, wo beide verschnauften.
»Zeig mir deine Hand«, sagte sie und ließ die Pistole in ihre Jackentasche gleiten.
Ari lehnte sich gegen eine Mauer und umklammerte sein linkes Handgelenk. Auf seinem Gesicht schimmerten Schweißperlen. Lela untersuchte die Schusswunde. Eine Kugel hatte Aris Handrücken aufgerissen und den Gelenkknochen freigelegt. Aus der Wunde sickerte Blut.
»Ich fürchte, der Knochen ist zersplittert«, sagte Lela. »Du brauchst etwas gegen die Schmerzen.«
»Dafür haben wir jetzt keine Zeit. In meiner rechten Jackentasche ist ein Halstuch. Binde es um die Wunde, um die Blutung zu stillen.«
»Sollten wir nicht Hirsh anrufen und ihn bitten, dich in das sichere Haus zu bringen?«
Ari verzog das Gesicht. »Auf keinen Fall. Zuerst suche ich den Mistkerl, der auf mich geschossen hat. Er und sein arabischer Freund können nicht weit sein. Cane auch nicht.«
»Und inzwischen verblutest du. Nimm Vernunft an, Ari.«
»Wer leitet diesen Einsatz, du oder ich?«, herrschte er sie an. »Verbinde die Wunde. Dann geht’s weiter, sonst entwischen uns diese Mistkerle. Uns rennt die Zeit davon.«
»Wie du meinst.« Lela zog ein buntes Halstuch aus Aris Jackentasche, schob den Ärmel hoch und verband ihm das Handgelenk.
Die Konfrontation am Petersplatz hatte sich zum Albtraum entwickelt. Dem Begleiter des Arabers war es gelungen, als Erster zu schießen, und eine Kugel hatte Aris Hand
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