Der Zweite Messias
Cognac aus der Kristallkaraffe ein. »Auf gar keinen Fall, hat er mir am Telfon gesagt. Das ist sein letztes Wort.«
Cassini sank auf seinen Suhl. »Und weiter?«
»Dann hat Ryan angerufen. Er sagte mir, der Papst wünsche uns nach seiner Rede an die Kardinäle zu sprechen. Nach Ryans Tonfall zu urteilen, stecken wir beide in großen Schwierigkeiten.«
Cassini lächelte verzerrt. »Glaubst du wirklich, Liam?«
Auf Kellys Stirn schimmerten Schweißperlen. »Natürlich. Das Spiel ist aus. Es wird nicht einmal die Rede davon sein, uns in Missionsstationen im finstersten Afrika zu versetzen. Sobald ans Licht kommt, dass wir damals geholfen haben, Kubels Tat zu verschleiern, wird man uns beide zwingen, die Kirche in Ungnade zu verlassen.«
»Und den Papst ebenfalls.«
»Das scheint ihm egal zu sein. Nur die Wahrheit zählt.«
Der kleine Sizilianer erhob sich mühsam. »Blicken wir den Tatsachen ins Auge, Liam. Wir haben vergeblich gehofft, die Meinung des Papstes ändern zu können. Jetzt ist dieser letzte kleine Hoffnungsschimmer erloschen, aber noch ist nicht alles verloren.«
»Was redest du da, Umberto?«
Cassini nahm die dicke rote Mappe vom Schreibtisch. »Das sind die Dokumente, die du aus dem Geheimarchiv geholt hast.«
»Auf deine Bitte hin«, erwiderte Kelly.
»Ja, um die Kirche zu schützen.« Cassini umklammerte den Elfenbeingriff seines Brieföffners und schlitzte die Kordel auf. Dann warf er die Dokumente in den Kamin, öffnete eine Schreibtischschublade, nahm ein Feuerzeug heraus und zündete die Papiere an. Um die Flamme anzufachen, stocherte er mit der Klinge des Brieföffners im Feuer.
»Mein Gott, was tust du da?«, fragte Kelly entsetzt.
»Was jeder vernünftige Bürokrat in dieser Situation tun würde. Ich vernichte die Beweise.« Cassini schaute auf die züngelnden Flammen, in denen die Dokumente verbrannten.
Kelly war entsetzt. »Du hast gesagt, du wolltest diese Papiere vorübergehend aus dem Verkehr ziehen, bis die Aufregung sich gelegt hat. Wenn du sie vernichtest, machst du alles nur noch schlimmer.«
»Nur John Becket kann alles noch schlimmer machen.« Cassini betrachtete den Brieföffner, dessen Spitze vom Ruß geschwärzt war. Er zog ein Papiertaschentuch aus der Tasche und wischte sie ab, bis der Stahl wieder glänzte. Mit verächtlicher Miene hielt er die Klinge mit der eingravierten Widmung hoch. »Kannst du lesen, was da steht? ›Mit tiefer Zuneigung einem ergebenen Diener Gottes.‹ Unser letzter Papst kannte meinen Wert. Er kannte den Wert der Loyalität. Aber Becket ist ein Verräter.«
Kelly wollte sich gerade einen weiteren Schluck Cognac aus der Kristallkaraffe einschenken, änderte dann aber seine Meinung, denn er lallte bereits ein wenig. »Unsere Zeit istabgelaufen, Umberto. Ich hätte damals nicht auf dich hören sollen, aber ich habe mich in deine dreckigen kleinen Intrigen hineinziehen lassen …«
»Und es hat sich für dich ausgezahlt. Sieh dich an. Du bist ein echter Kardinal!«
»Es hat sich für mich ausgezahlt?« Kelly lachte spöttisch. »In wenigen Stunden bin ich nichts mehr, nicht einmal ein Priester.«
»Es gibt noch eine Möglichkeit, Becket aufzuhalten, wenn wir nur kühn genug sind.«
»Und wie?«
»Indem wir auf eine alte vatikanische Praxis zurückgreifen und den Papst töten.«
Kelly starrte Cassini ungläubig an. Er sah in den Augen des Sizilianers den Wahnsinn lodern. »Hast du den Verstand verloren, Umberto?«
»Im Gegenteil«, erwiderte Cassini mit verzerrtem Gesicht. »Dieses Geschwür muss herausgeschnitten werden. Becket ist verrückt. Er wird uns alle vernichten – Priester, Bischöfe, Kardinäle –, damit er seine große Stunde hat. Sollen wir zulassen, dass ein Fanatiker zweitausend Jahre ehrwürdiger Geschichte zerstört?«
Kelly war entsetzt. »Wir leben nicht mehr im sechzehnten Jahrhundert, als ein Mord ein übliches politisches Werkzeug war. Wie könnte ich so etwas verzeihen, Umberto?«
»So wie du Robert Canes Tod verziehen hast.«
Kelly ging zur Tür. »Das war ein schrecklicher Irrtum, für den ich in der Hölle schmoren werden. Auf Wiedersehen, Umberto.«
»Was hast du vor?«, fragte Cassini.
»Ich gehe das Risiko ein und gestehe Ryan alles.«
Cassini krallte die Faust in Kellys Ärmel. »Bist auch du ein Verräter? Glaubt denn niemand mehr an Loyalität?«
Kelly riss sich los. »Du bist verrückt.«
Der Sizilianer verlor völlig die Nerven. Mit aller Kraft stieß er Kelly den Brieföffner in den
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