Der Zweite Messias
zwanzig vor sechs? Ich wusste gar nicht, dass Archäologen auch Nachtschichten einlegen.«
»Wie ich schon sagte, Green war wegen der Schriftrolle völlig aus dem Häuschen. Das ganze Team ist lange aufgeblieben und hat auf den Fund angestoßen.«
»Und die Nichte? Kann sie Cane ein Alibi verschaffen?«
»Nicht ganz. Bis sie ihn auf dem Hügel entdeckt hat, fehlen ihm fünf bis zehn Minuten für ein Alibi. Cane sagt, er sei zuerst durchs Camp spaziert und habe über seine Entdeckung nachgedacht. Dann habe er beschlossen, den Hügel hinaufzusteigen. Wenn Sie mich fragen, passt das alles viel zu gut zusammen.«
»Gibt es ein Motiv?«
»Noch nicht. Aber alle sind sich einig, dass Green ein ziemlich unangenehmer Typ sein konnte, der die Meinung seiner Kollegen nicht immer geteilt hat. Wenn man ihn auf dem falschen Fuß erwischte, konnte er einen angeblich wie Dreck behandeln. Manche seiner Mitarbeiter bezeichneten ihn als arrogant, einigesogar als aggressiv. Es gab noch schlimmere Bezeichnungen, aber da ich mich in Gesellschaft einer Dame befinde, möchte ich sie lieber nicht wiederholen.«
»Gab es zwischen dem Professor und Cane eine berufliche Konkurrenz?«, fragte Lela.
Mosberg kratzte sich am Kopf. »Angeblich haben sie sich manchmal wie Hund und Katze gestritten, wenn es um fachliche Fragen ging, aber nicht in diesem Fall. Der Fund hat Green in Euphorie versetzt.«
»Wer hat das gesagt?«
»Ein paar Leute, die hier bei den Ausgrabungen helfen.«
Lela zählte mehr als zwei Dutzend Zivilisten, die vor den Containern standen. »Wer sind diese Leute?«
»Es ist eine internationale Ausgrabung, die unter der Leitung der israelischen Behörde für Altertumsforschungen durchgeführt wird. Insgesamt sind vierzig Personen daran beteiligt, dreißig Männer und zehn Frauen. Acht Israelis – der Rest sind Amerikaner, Briten, Italiener und Franzosen. Sogar ein Palästinenser und ein Libanese sind dabei. Außerdem ein Dutzend einheimische Beduinen, die die Drecksarbeit machen. Alle stehen unter Schock.«
»Beduinen sind auch dabei?«
Wieder zuckte Mosberg mit den Schultern. »Ich kenne eine Menge Israelis, die der Meinung sind, dass unsere Regierung die Beduinen schlecht behandelt. Ihr Land wird konfisziert, und dann werden dort Siedlungen gebaut.«
»Das können Sie laut sagen.«
»Trotz allem sind es in der Regel anständige, höfliche Menschen, die sehr zurückgezogen leben. Keine Streitereien mit den Leuten hier im Camp. Kein Grund, jemandem ein Messer in die Brust zu rammen.«
Sie gelangten zum Zelt. Die beiden Polizisten, die den Eingang bewachten, nahmen Haltung an.
Lela sah, dass auf dem Boden des Zeltes Plastikplanen über mehreren sandigen Stellen lagen, als sollten Spuren gesichert werden. »Okay, dann schauen wir mal, ob wir herausfinden, womit der Professor es sich verdient hatte, erstochen zu werden.«
12.
»Das hätte ich auch nicht besser hingekriegt. Eine einzige Stichwunde. Die Klinge traf genau ins Herz.« Der Pathologe stand in der Mitte des Zeltes. Yad Hershel war ein kleiner Mann mit Spitzbart, der ständig grinste, als würde er den Tod ausgesprochen lustig finden.
Vor ihm auf dem Boden lag Greens Leichnam, zum größten Teil mit einem blutigen weißen Tuch bedeckt. Hershel hob eine Ecke hoch. »Ein schneller, aber sehr schmerzhafter Tod.«
Lela betrachtete Greens Leichnam. Der Professor war ein großer, kräftiger Mann, der bestimmt hundertzwanzig Kilo wog, und hatte dickes, graues Haar. Seine Augen traten hervor, und ihm stand der Schock ins Gesicht geschrieben, als hätte der Tod ihn vollkommen überrascht.
Lela betrachtete eingehend das Gerber-Taschenmesser, das bis zum Griff in Greens Brust steckte. Rings um die Wunde hatten sich Rinnsale aus getrocknetem Blut gebildet. Schließlich wandte Lela den Blick ab und schaute sich in dem großen, begehbaren Zelt um.
In einer Ecke stand ein Feldbett, in einer anderen einSchrankkoffer. Neben dem Bett sah sie Bücherregale mit Büchern und Aktenordnern. Auf einem alten Schreibtisch neben den Regalen erblickte sie einen zusammengerollten Klumpen vermoderten Stoffes. Auf dem Boden lag ein altertümlich aussehender Tonkrug.
Lela nickte. »Ich habe genug gesehen. Was können Sie mir sonst noch sagen, Yad?«
Hershel deckte den Leichnam wieder zu. »Der Tod ist zwischen fünf und sechs Uhr heute Morgen eingetreten. Der Griff des Messers wurde säuberlich abgewischt. Keine Fingerabdrücke. Dafür haben wir vier verschiedene Paar Fußabdrücke
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