Der Zweite Messias
hallte von den Klippen am Toten Meer wider, worauf die Ziegen in der Ferne auseinanderstoben. So nahe an der jordanischen Grenze waren Patrouillenflüge der Luftwaffe an der Tagesordnung.
Lela warf einen Blick zurück auf die Journalisten und Kamerateams. Einer der Polizisten, der mit ihnen sprach, war ein dickerSergeant mit einem Bierbauch. Er hielt ein Notizheft in der Hand, und zwischen seinen Zähnen klemmte ein Bleistift. Der Sergeant entfernte sich von der Menge, nahm den Bleistift aus dem Mund und tippte höflich gegen seine Dienstmütze, als er Lela Raul begrüßte. »Danke, dass Sie gekommen sind, Inspektor.«
»Hallo, Sergeant Mosberg. Wie ich sehe, sind die Journalisten bereits wie die Heuschrecken ins Camp eingefallen.«
Mosberg lächelte. »Für sie sind schlechte Nachrichten immer gute Nachrichten. Das Interesse an dem Fall ist groß. Sogar ein paar ausländische Korrespondenten aus Jerusalem sind gekommen. Ein Mord in Archäologenkreisen ist eher selten. Die Leiche liegt da drüben im ersten Zelt.«
Ungefähr hundert Meter entfernt sah Lela mehrere begehbare Zelte aus Segeltuch stehen. Vor dem ersten Zelt hielten zwei Polizeibeamte Wache. Zu ihrer Rechten parkten zwei Geländewagen und ein blauer Opel-Van neben mobilen Toilettenkabinen und zwei Büro- und Materialcontainern. An einer der Wände lehnten Schaufeln und Spitzhacken. Vor einem der Container stand eine Gruppe Zivilisten unterschiedlichen Alters, die Lelas Ankunft beobachteten.
»Die gehören zur Ausgrabungsmannschaft, falls Sie sich wundern sollten«, erklärte Mosberg. »Unseren Pathologen, Yad Hershel, kennen Sie bestimmt. Er hat seine Untersuchungen fast abgeschlossen. Kennen Sie diese Gegend hier, Inspektor?«
Lela nickte. »Könnte man so sagen. Ich habe in einem Kibbuz ganz in der Nähe gewohnt, und in meiner Kindheit bin ich oft in diesen Bergen hier geklettert. Sagen Sie mir, wer das Opfer ist.«
»Hat Ihr Chef Ihnen denn noch nichts gesagt?«
»Das Meiste schon, aber ich möchte es noch einmal von Ihnen hören.«
Mosberg zog eine Pfeife aus der Tasche, hielt schützend eine Hand davor, zündete sie mit einem billigen Plastikfeuerzeug an und nahm ein paar Züge. »Bei dem Toten handelt es sich um einen amerikanischen Professor namens Donald Green. Er war Chef des Ausgrabungsteams.«
Lela folgte dem Sergeant in eines der Zelte. »Wie ist er gestorben?«
»Er wurde um kurz nach sechs Uhr heute Morgen mit einem Messer in der Brust gefunden.«
»Weiß man schon, wem das Messer gehört?«
»Ja. Einem seiner Kollegen, einem Amerikaner namens Jack Cane. Er behauptet, er habe es Professor Green geliehen, als der ein Artefakt untersucht hat, das Cane gefunden hat.«
Lela runzelte die Stirn. »Um was für ein Artefakt handelte es sich?«
Mosberg wies mit ausgestrecktem Arm zum Tal. »Eine lederne Schriftrolle in einem Tonkrug. Die Fundstelle befindet sich gleich da drüben am Fuß der Klippen, im südlichen Bereich der Ausgrabungsstätte, dem so genannten Abschnitt A. Qumran wird in Abschnitte unterteilt. Das Zeltlager beispielsweise steht im Abschnitt B3.«
Lela nickte. »Das ist mir bekannt. Erzählen Sie weiter.«
»Als Professor Green erfuhr, was Cane da entdeckt hatte, war er angeblich so aufgeregt, dass er sich beinahe in die Hose pinkelte. Er hielt den Fund für sehr bedeutend. Wie Sie wissen, wurden in diesem Gebiet zahlreiche Schriftrollen aus dem ersten nachchristlichen Jahrhundert gefunden, deren wissenschaftliche Auswertung zu heftigen Kontroversen geführt hat. Bei dieser neuen Schriftrolle könnte es sich tatsächlich um einen sensationellen Fund handeln, meint Cane.«
»Warum?«
»Ich glaube, das kann er Ihnen am besten selbst erklären, Inspektor. Ich bin kein Fachmann. Deshalb habe ich auch keine Ahnung, warum so viel Aufhebens um diesen Fund gemacht wird.«
Lela und Mosberg näherten sich den Zivilisten vor den Containern. Lela musterte die Leute. »Ist Jack Cane unser Mörder?«, fragte sie den Sergeant.
»Da liegt das Problem. Er streitet alles ab. Angeblich hat er Green gegen Viertel vor sechs allein im Zelt gelassen, und da soll der Professor noch gelebt haben. Cane ist da drüben, östlich vom Camp, auf den Hügel gestiegen und hat sich den Sonnenaufgang angeschaut. Greens Nichte, Yasmin, erklärt, sie sei gegen sechs Uhr zu Cane hinaufgestiegen. Nach ihrer Aussage hat ihr Onkel zwanzig Minuten vorher noch gelebt und sich noch immer mit der Schriftrolle beschäftigt, die Cane gefunden hat.«
»Um
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