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Der zweite Mord

Der zweite Mord

Titel: Der zweite Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Tursten
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Svärd war das vollkommen anders. Bei ihm kamen sich die Polizisten regelrecht willkommen vor. Irene setzte sich in einen der Sessel. Als sie schließlich ganz in das Lederpolster gesunken war, sah sie sich den Rechtsanwalt genauer an.
    Er war etwa ein Meter achtzig groß und schlank und hatte volles blondes Haar und ein ziemlich alltägliches Gesicht. Irene wusste, dass er dreiunddreißig Jahre alt war, aber er sah jünger aus. Ein hellgraues Seidenhemd, etwas dunklere Hosen und ein weinroter, ärmelloser Pullover aus Lammwolle machten den Eindruck, bequem und überdies sehr teuer zu sein. Irene war erstaunt, dass er geweint hatte. Seine Augen waren rot gerändert, aber er wirkte gefasst.
    »Mir ist klar, warum Sie hier sind. Das ist ein fürchterlicher Schock für mich … das, was Marianne passiert ist. Wir … trotz allem, was war … waren wir uns in der Tat immer noch sehr nahe.«
    Andreas Svärd wandte das Gesicht ab. Irene schaute auf Niklas Alexandersson. Seine Miene hatte sich noch mehr verdüstert. Andreas schien betrübt, aber Niklas wirkte wütend, was Irene einigermaßen verwunderte. Sie räusperte sich und begann:
    »Wann haben Sie Marianne zuletzt gesehen?«
    Andreas warf Niklas einen hastigen Blick von der Seite zu und antwortete dann:
    »Wir haben vor zwei Wochen zusammen Mittag gegessen.«
    Falls das überhaupt möglich war, sah Niklas jetzt noch verbitterter aus. Kurz fragte sie ihn:
    »Und Sie?«
    »Ich habe sie seit Weihnachten nicht mehr gesehen«, antwortete er mürrisch.
    »Bei was für einem Anlass war das?«
    »Sie war hier zum Abendessen.«
    Mit aller wünschenswerten Deutlichkeit machte er klar, dass nicht er sie eingeladen hatte. Erneut wandte sich Irene an Andreas.
    »Haben Sie sich oft gesehen?«
    »Nein. Nicht so oft.«
    »Wie oft?«
    Andreas sah nervös in Richtung von Niklas, schien aber fest entschlossen zu sein, die Wahrheit zu sagen.
    »Ungefähr einmal im Monat.«
    »Warum haben Sie sich getroffen?«
    Der Anwalt war über diese Frage aufrichtig erstaunt.
    »Wir haben uns unser ganzes Leben lang gekannt. Wir sind zusammen in derselben Straße aufgewachsen. Im letzten Jahr haben wir manchmal zusammen Mittag gegessen.«
    »In welchem Restaurant waren Sie zuletzt?«
    »Im Fiskekrogen.«
    Niklas konnte sich nicht länger beherrschen. Mit einem halblauten Fluch drehte er sich auf dem Absatz um und verließ das Zimmer. Andreas sah ihm nachdenklich hinterher, sagte aber nichts. Irene dachte ebenfalls nach. Es hatte tatsächlich den Anschein, als wollte der Anwalt die Wahrheit sagen, obwohl er sich damit Niklas’ Zorn zuzog. Trotzdem würde es wahrscheinlich einfacher sein, sich mit ihm unter vier Augen zu unterhalten.
    »Haben Sie eine Möglichkeit, morgen Nachmittag aufs Präsidium zu kommen?«, fragte Irene.
    »Natürlich. Aber nicht vor vier.«
    »Das passt mir ausgezeichnet.«
    Die Polizisten standen auf und gaben Andreas Svärd die Hand. Irene bemerkte, dass er ungewöhnlich kleine und schöne Hände hatte.
    In der Diele war von Niklas keine Spur zu entdecken. Irene sprach ins Leere hinein:
    »Niklas. Ich muss mit Ihnen sprechen.«
    Langsam wurde eine Tür geöffnet und Niklas erschien.
    »Was wollen Sie?«, fragte er mürrisch.
    »Wir müssen noch einmal miteinander reden. Ich würde gerne mit Ihnen auf dem Polizeipräsidium sprechen. Wann passt es Ihnen morgen Nachmittag?«
    »Ich arbeite bis halb fünf. Nicht vor fünf also. Eher um halb sechs.«
    Tommy betrachtete die Bilder an den Wänden. Plötzlich deutete er auf ein großes gerahmtes Plakat und fragte:
    »Sind Sie das?«
    Irene drehte sich um und betrachtete das Plakat.
    »Dragshow Fever« war darauf in zierlicher Frakturschrift zu lesen. Eine Frau mit schlanken Beinen in schwarzen Netzstrümpfen ging in Schuhen mit irrsinnig hohen Absätzen eine Treppe hinauf. Ein schwarzer Tangaslip schnitt zwischen den wohlgeformten Hinterbacken ein. Der Rücken des Oberteils, das ganz aus Pailletten bestand, war tief ausgeschnitten, und ihr langes Haar fiel in Locken über die Schultern. Der Kopf war etwas zur Seite gewandt. Obwohl die falschen Wimpern und das Make-up die Gesichtszüge etwas verbargen, erkannte Irene Niklas Alexanderssons Bernsteinblick wieder. Verwundert wandte sie sich an Niklas und rief:
    »Das sind Sie!«
    Er lächelte amüsiert und bösartig.
    »Schon wieder schockiert?«
    »Auch diesmal nicht. Was hat dieses Plakat zu bedeuten?«
    »Es bedeutet, dass ich früher bei Dragshows aufgetreten bin. Als armer

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