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Der zweite Tod

Der zweite Tod

Titel: Der zweite Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Scholten
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habe ich schon gefunden. Es gibt nicht viele Ärzte, die solche Eingriffe vornehmen. Petersson hat sich vor zwei Monaten an ihn gewandt und über Herzbeschwerden geklagt. Bei der Katheterbehandlung hat sich dann gezeigt, dass die Arterie verengt war. Sie haben diese Stelle dann gedehnt und eine Hülse eingesetzt, die Hans schon gefunden hat.«
    »Und wie lebensbedrohlich war das?«, fragte Kjell.
    »Es hält sich in Grenzen, aber wenn die Arterie sich ganz schließt, hat man natürlich einen Infarkt. Petersson soll recht besorgt gewesen sein. Eine Herzkatheteruntersuchung ist auch nicht ohne Risiko, aber nur damit kann man klären, wie es da drin wirklich aussieht. Petersson hat sich sofort dafür entschieden.«
    »Mit Risiken scheint der Mann ja keine Probleme gehabt zu haben«, gähnte Barbro.
    Die Besprechung neigte sich gerade dem Ende zu, als es an der Tür klopfte. Es war Linda. Sie blieb zögernd auf der Schwelle stehen, aber Kjell winkte sie herein. Sie setzte sich auf den freien Stuhl.
    »Ah, Linda«, stöhnte Barbro und rieb sich die Augen. »Heute geht es leider nicht. Wir haben einen neuen Fall und sind seit der Nacht auf den Beinen. Ich bin hundemüde.«
    »Oh.« Linda lächelte verständig.
    Kjell kannte seine Tochter. Nur er konnte sehen, wie enttäuscht sie war.
    Linda erhielt seit einem Monat Fahrunterricht, abwechselnd von Barbro und von Henning. Wie sich am Morgen wieder einmal gezeigt hatte, mangelte es Linda an einer gewissen Aufmerksamkeit für ihre Umgebung. Dass sie in Zukunft Auto fahren wollte, erfüllte Kjell mit Sorge. Sie hatte es vorgezogen, Barbro und Henning um Fahrunterricht zu bitten und nicht ihren Vater. Nun ja, dachte er, immerhin hatte die Natur die beiden mit allem ausgestattet, was nötig war, um Linda das Autofahren beizubringen: schnelle Reflexe, Geduld und Gottvertrauen. Sie übten mit Kjells kleinem Renault. Er hatte sich bei seinen Kollegen einige Male nach dem Stand der Entwicklung erkundigt, doch die beiden ließen nur verlauten, dass sie zufrieden seien. Alles liefe gut. Sie waren immerhin noch am Leben.
    Manchmal fuhren sie sogar zu dritt. Dann setzten sie Linda am Ende zu Hause ab und fuhren zu zweit dem Horizont entgegen. Offiziell wollte Barbro nicht verpassen, wie der Airbag reagieren würde, wenn er aus dem Lenkrad schoss und Henning am Steuer sitzen sähe. In Wahrheit verbrachten die beiden drei bis vier Abende in der Woche zusammen. Während Barbro zwei Stunden mit Emelie spielte, verteilte Henning das Gewicht seines Körpers gleichmäßig auf dem Sofa der Frau, die wegen ihrer Haltung zu Männern in ihrer alten Abteilung nur »Die Harpunistin« genannt worden war. Doch mittlerweile konnte Kjell sich vorstellen, dass es Momente geben konnte, in denen Barbro sehr weich wurde. Und dass sie sich nach diesen Momenten sehnte.
    Es würde ihn nicht wundern, wenn das verchromte Herz von Barbros Vater seine Tochter nach einer Odyssee, die dem klassischen Vorbild weder in Dauer noch in der Zahl der Logbucheinträge nachstand, am Ende in den Hafen von Hennings weit geöffneten Armen triebe. Und Hennings Arme und Hände waren solche, wie man sie bekommt, wenn man jahrelang Schleifen in Schiffsanlegetaue geschlungen hat. Es waren also Arme, aus denen Barbro sich nicht mehr würde herauswinden können, und genau in diese Lage trieb es Barbros Unterbewusstsein anscheinend. Was für eine groteske Entwicklung und wie absolut folgerichtig, fand Kjell. Genauso war das Leben beschaffen.
    Wenn Emelie zu zappelig war, wurde sie gegen sieben Uhr auf Hennings Brustkorb gebettet und in den Schlaf gebrummt. Dann schaltete Henning den Fernseher aus. Soweit Kjell wusste, fuhr Henning dann immer noch zu sich nach Hause.
    Es war für Kjell überhaupt kein Problem gewesen, das alles herauszufinden. Henning und Barbro verband eine mittelfristige Zukunft in Gestalt eines 10000-Teile-Weltkartenpuzzles, bei dem sich nach zwei Monaten gerade mal die blauen Konturen der Weltmeere abzeichneten. Das alles hatte Henning freimütig zugegeben. Bestimmt puzzelten sie von den beiden Polen aufeinander zu.
    Barbro und Linda hatten sich für heute Abend zu einer Fahrstunde verabredet. Deshalb hatte Kjell das Auto auch gestern in der Garage des Präsidiums stehen lassen.
    »Wie war der Physiktest?«, wollte Sofi wissen.
    Linda war in der vergangenen Woche einige Male ins Büro gekommen, um Sofi Fragen zu den keplerschen Gesetzen zu stellen. Es erstaunte Kjell, dass Linda sich diesmal so viel Mühe gab. Das

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