Der zweite Tod
Aufzeichnungen der Überwachungskameras hatte Barbro bereits angefordert. Petersson konnte das Geld nicht mehr selbst abgehoben haben. Er war zwischen halb eins und halb zwei gestorben. Während Barbro noch berichtete, stand Kjell auf und zeichnete einen Zeitstrahl an die Kreidetafel, die eine ganze Wand des Besprechungsraums einnahm. Es war eine seiner Angewohnheiten, alle Fakten in Diagrammen darzustellen und sich die Zusammenhänge visuell zu erarbeiten.
Petersson war also vor 1 Uhr 30 gestorben. Der Anruf kam um 1 Uhr 32. Weil die Schutzpolizei wegen des einsetzenden Schneefalls überlastet war, sandte die Einsatzzentrale ausnahmsweise gleich Viktoria und ihre Kollegen zu Petersson. Die Kripo kam um 1 Uhr 58 dort an und betrat die Wohnung unverzüglich. Kjell und Sofi trafen erst gegen drei Uhr in der Västmannagatan ein.
Sie gingen Viktorias Eindruck von der Wohnung gemeinsam durch: Jemand hatte Petersson von hinten erstochen, den Brieföffner in die Spülmaschine gelegt und die Maschine eingeschaltet.
Henning schüttelte den Kopf. »Ich verstehe den Sinn nicht. Es war eine sinnlose Handlung, den Öffner in die Spülmaschine zu legen, denn die Fingerabdrücke wurden vorher ohnehin vom Griff abgewischt.«
»Es gibt auch dumme Menschen«, fand Barbro. »Oder Menschen in Panik.«
»Die Aktion erscheint überstürzt und nicht durchdacht«, stimmte Kjell zu. »Aber ich möchte betonen, dass es so erscheint.«
Barbro hob die linke Augenbraue. »Glaubst du an eine Inszenierung?«
»Vielleicht. Zumindest zum Teil. Wenn es eine ist, dann müssen wir uns auch fragen, ob der Täter die Inszenierung bereits vor dem Mord so geplant hat oder ob er erst danach darauf gekommen ist, alles so zu arrangieren. Wir müssen auch klären, welche Spuren echt und welche vorgetäuscht sind.«
»Der Anruf aus Sahlins Wohnung.« Barbro verstummte für eine Sekunde und studierte ihre Notizen. »Wenn Sahlin wirklich in Israel ist, wer hat dann angerufen?«
Henning nickte. »Der Anruf ist eigenartig, wenn er nicht von Sahlin kommt. Er ist auf jeden Fall zum Nachteil des Täters. Deshalb frage ich mich, warum er ihn selbst gemacht haben soll.«
Sofi kniff verärgert die Augen zusammen. Alle blickten zu ihr. »Ihr seid zu schnell. Der Mörder hat die Wohnung nach dem Mord verlassen. Und das ist auch sonderbar. Er hat die Tür nicht ins Schloss gezogen.«
Henning strich sich übers Kinn. »Das kann natürlich passieren. Auf der Flucht beseitigt man erst penibel alle Spuren an der Tür, vergisst dann aber, sie zu schließen.«
»In der ganzen Wohnung gibt es keinen einzigen Schlüssel«, sagte Sofi. »Ich musste das Schloss austauschen.«
Henning verzog sein Gesicht. »Das ist in der Tat unheimlich.«
Kjell setzte die Spitze der Kreide an die Tafel. »Welche theoretischen Möglichkeiten gibt es denn, was dort in der Wohnung geschehen sein kann?«
»Es kann ein ganz gewöhnlicher Raubmord gewesen sein«, schlug Barbro vor.
Kjell schrieb diese Möglichkeit an die Tafel. Darunter schrieb er als weitere Möglichkeit den Namen Maria. »Henning, kannst du diese Maria finden?«
Henning nickte.
»Ich helfe ihm dabei«, verkündete Sofi. »Ich schreibe gleich ein Filterprogramm, mit dem wir die Personendatenbank abfragen können. Wer von den männlichen Männern über dreißig im letzten halben Jahr an Krebs gestorben ist und eine Tochter namens Maria hat. Dann muss Henning das nicht mit der Hand machen.«
Henning legte das Gesicht in seine Handflächen und nickte. Er ließ all die Stunden in den letzten fünfundzwanzig Jahren vor seinem inneren Auge vorbeiziehen, die er für solche Recherchen aufwenden musste, nur weil es keine Computer und keine Sofis gegeben hatte.
»Schließlich haben wir noch Sahlin«, sagte Kjell.
»Ich wollte gleich ins Söderkrankenhaus fahren, wo er wegen seiner Krankheit behandelt wird. Vielleicht wissen die etwas über ihn.«
Sofi hatte ihr Suchprogramm auf den Namen »Akazienmädchen« getauft. Sie wählte immer blumige Namen für ihre Programme aus. Sie hatte schon so viele programmiert,dass der Vorrat an Blumennamen langsam zur Neige ging. Akazienmädchen hatte zwei Marias gefunden. Barbro war gerade auf dem Weg zur ersten. Sofi saß an ihrem Schreibtisch und durchsuchte den Inhalt von Peterssons Computer, den sie auf eines ihrer Notebooks kopiert hatte. Sie zog die Augenbrauen hoch und seufzte.
»Es gibt eine Reihe von wissenschaftlichen Programmen und Datenbanken, aber nichts davon wird uns
Weitere Kostenlose Bücher