Der Zweite Tod
logentochter.
Eine Stunde später stapelten sich die Bücher auf dem Tisch. Auf dem Blatt stand nun hinter den meisten Reihen eine Zahl. Oft klangen die Wörter ähnlich, waren aber nicht völlig identisch. Papa ließ sich wie andere Leute seines Schlags immer wieder gerne dazu herab, seine Tochter zwischen Bad und Küche mit kurzen Vort rägen zu beglücken. Deshalb wusste Linda, dass man in der Antike manchmal bei jedem Zeilenwechsel die Schreibrichtung änderte. Linda hatte sich das sofort gemerkt, weil es für faule Menschen wie sie eine sehr bequeme Art zu schreiben war. Und das war auch hier der Fall. Jede zweite Zeile musste von rechts nach links gelesen werden. Aus jeder Sprache gab es nur zwei, drei Zeilen. Deren Namen hatte Linda in den meisten Fällen noch nie zuvor gehört.
Schließlich stand sie wieder vor Sofi, die immer noch telefonierte. Jetzt saß sie dabei über den Tisch gebeugt und notierte etwas. Linda schnappte einige Sätze auf. Sofi sprach mit dem Anru fer über das Passwort.
»Ich hab da was gefunden«, versuchte es Linda. Sofi hob kurz den Kopf. »Wegen des Passworts.«
Sofi runzelte die Stirn und schenkte Linda ein Drittel ihrer Aufmerksamkeit.
»Ich lasse es im Wohnzimmer liegen«, flüsterte Linda enttäuscht. »Vielleicht kannst du es dir später ansehen?«
Sofi nickte.
Lindas Euphorie schwand. Die fünfttetzte Reihe hatte sie nicht herausbekommen. Sofi hatte so viele Versuche hinter sich, dass es dumm war zu glauben, ausgerechnet ihr könnte es geglückt sein. Sie schlüpfte in Jacke und Schuhe, winkte Sofi zum Abschied und verließ die Wohnung.
22
Ida entspannte sich auf ihrem Bett. Dazu hatte sie gemäß der Anweisung ihres Therapeuten eine kleine Kerze auf dem Fensterbrett aufgestellt, die unruhig flackerte. Eine Kerze ist in Ordnung, hatte sie bei der letzten Sitzung gesagt. Aber verlang nicht, dass ich mich in die Badewanne lege und überall Teelichter aufstelle. Der Therapeut war lieber sofort einverstanden gewesen und schlug vor, beim nächsten Mal etwas Zeit von ihren Diskussionen über die er kennt nistheore tische Berechtigung der Psychologie abzuzweigen, um über das Thema Kompromissfähigkeit zu sprechen, und zwar ganz speziell über die Kompromissfä hig keit von Ida.
Ida hing ihren Gedanken nach und ließ die Gedanken vorbeiziehen. Als es an der Tür klingelte, döste sie schon. Sie setzte sich auf und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. Der Wecker zeigte sechs Uhr an. Kjell wollte nicht vor acht kommen. Dennoch. Sie sprang aus dem Bett und ordnete in aller Eile ihre Haare vor dem Spiegel im Flur. Dann riss sie die Tür auf.
Im Treppenhaus stand Patrik Nygren und lehnte sich mit ausgestrecktem Arm gegen den Pfosten ihrer Tür. »Ida«, sagte Patrik Nygren.
Von oben hallten heftige Schritte durchs Treppenhaus. Ida sah Patrik erwartungsvoll an. Die Schritte kamen näher.
»Ich bin dabei, die alte Wohnung aufzul ösen und brauche den Schlüssel.«
»Wel chen Schlüs sel?«
»Du hast noch einen Haustürschlüssel von mir.« »Patrik«, sagte sie fassungsl os. »Das ist vier Jahre her. Du kommst wegen eines Schlüssels aus Göteborg?« Er nickte.
»Hättest du nicht anrufen können?« »Es ist sehr wichtig.«
Das war es also, was so wichtig war. In Ida begann es zu brodeln. Die Schritte von oben kamen immer näher. Ein Mädchen erschien auf der Treppe. In der Kehre, an der Idas Haustür lag, rauschte das Mädchen mit einem Schwung um die Kurve, wobei sie sich am Knauf des Treppengeländers festhielt.
Sie ist es, dachte Ida. Das ist Linda. Ihre Blicke trafen sich.
»Hast du ihn?«, fragte Patrik.
Ida sah Linda durch die Haust ür verschwinden. »Hast du meine E-Mail be kom men?« Patrik nickte.
Ida wartete einen Augenblick, ob Patrik noch mehr zu sagen hatte. Er hatte ja gelesen, dass sie glaubte, er habe Aids. Dann wusste er auch, dass sie sich nicht nur um ihn, sondern auch um sich selbst und vielleicht eine Reihe anderer Menschen sorgen würde. In vier Jahren hätte Ida so viele Menschen infizieren können, wie in einer schwedischen Kleinstadt leben. Auf die E-Mail hatte er nicht mehr geant wor tet.
»Ich habe ihn bestimmt beim Umzug weggeworfen. Hier in der neuen Wohnung ist er jedenfalls nicht, Patrik.«
Auf seinem Gesicht erschien eine genervte Miene. So kannte sie ihn. Es nervte ihn, dass Ida die Bedeutsamkeit seines Besuchs nicht erkannte. In der Wohnung klingelte das Telefon.
»Mach’s gut«, verabschiedete sie sich und drückte ihm
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