Der Zwerg reinigt den Kittel
in den Karton.
Es ist 17 : 31 .
16
Knack. 17 : 37 .
Wir sind allein im Kreativraum. Karlotta, Suzanna, Marlen und ich.
Wir schweigen.
Es ist vorbei.
Der Kreativworkshop ist für heute vorbei, Schwester Olga hat ihn abgebrochen und die weinende Frau Sonne auf ihr Zimmer gebracht. Zu den anderen hat Schwester Olga gesagt, dass sie auch auf ihre Zimmer gehen sollen, um sich ein bisschen zu erholen von dem schrecklichen Vorfall.
Schrecklicher Vorfall.
So hat sie es genannt, und ich will gar nicht wissen, was Schwester Olga später in ihren Workshopbericht schreiben wird, vor allem über Karlotta.
»Fr. Könick hat sich heute sehr ungebührlich verhalten und schwer gegen Art. 18 der Heimordnung verstoÃen, wonach die Bewohnerinnen und Bewohner der R ESIDENZ stets rücksichtsvoll miteinander umzugehen haben. Das Verhalten von Fr. Könick war nicht nur sehr ungebührlich, sondern auch sehr ungewöhnlich. ÃuÃerst ungewöhnlich für eine Frau, die vorgibt, alt und gebrechlich zu sein. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Fr. Könick bei der gesetzlichen Krankenkasse einen Antrag auf Pflegestufe zwei gestellt hat, empfiehlt sich eine schonungslose Ãberprüfung der tatsächlichen Bedürftigkeit von Fr. Könick. Es besteht Simulationsverdacht.«
Nun ja, das warâs dann, nicht wahr. Aus der Traum vom ewigen Urlaub. Der Krieg ist vorbei, die Operation Hinterland ist gescheitert, und wer ist schuld? General Könick höchstpersönlich.
Bravo, mein Führer.
»Blödsinn«, sagt Karlotta und schlägt den Kragen ihrer Armeejacke hoch. »Schwester Olga wird gar nichts schreiben in ihren Bericht. Schwester Olga schreibt solche Sachen nicht, dazu ist sie viel zu nett. Und Verdacht wird sie auch keinen schöpfen, dazu ist sie viel zu â¦Â« Karlotta sucht nach dem richtigen Wort, Marlen sagt: »Durchgeknallt! Du bist ja total durchgeknallt, Karlotta, du verdammter Kampfzwerg!
Beherrschung!
Disziplin!
Tod vor Schande!
Schon mal was davon gehört?«
»Mein Spezialgebiet«, murmelt Karlotta grimmig.
»Ja! Klar! Spezialgebiet! Hat man ja gesehen grade eben!«
Mein Gott, ist Marlen sauer. Alles voller Ausrufezeichen.
»Wir simulieren uns hier seit acht Tagen den Arsch ab, und du setzt alles aufs Spiel! Noch dazu so kurz vorm Ziel! Heute ist der letzte Tag, morgen Vormittag kommt der MDK , wir müssen nur noch eine Nacht und ein Frühstück durchhalten, und was macht Karlotta Könick, genannt Killerkönick? Sie macht einen auf Ich bin so, wie ich bin! «
Marlen ist aber sowas von sauer.
»Wenn Schwester Olga auch nur den leisesten Verdacht schöpft, dann können wir uns den staatlich subventionierten Urlaub sonst wohin stecken! Die Nummer mit Frau Wimmer vor ein paar Tagen von wegen scheià Psychotussi und so, die war ja schon grenzwertig, aber heute hast du dich selbst übertroffen!«
»Unsinn«, grummelt Karlotta. »War doch nicht so schlimm.«
»Nicht so schlimm? Total daneben! Total unglaubwürdig! Oder hast du schon einmal von einer alten Frau gehört, die einer anderen alten Frau auf die Nase schlägt und Du Opfer zu ihr sagt? Verdammt, verfickt, beschissen? «
»Streichholzschachtel«, grummelt Karlotta, »tut nicht weh.«
»Ach was, hör doch auf!« Marlen macht eine wegwerfende Handbewegung. »Du hast es verschissen. Du hast alles gemacht, was alte Frauen nie tun, oder wie seht ihr das?«
Blick auf Suzanna, Blick auf mich.
Suzanna nickt, ich nicke.
»Du warst viel zu laut für eine alte Frau«, sagt Suzanna.
»Du warst viel zu grob für eine alte Frau«, sage ich.
Zu wütend.
Zu wild.
Zu wüst.
Pause.
Marlen sieht Karlotta streng an, dann verzieht sie ihr Gesicht zu einem Grinsen.
»Du warst gut, Karlotta«, sagt sie.
Suzanna nickt und grinst. »Verdammt gut.«
Ich nicke und grinse. »Verfickt gut.«
Karlotta sagt nichts. Sie macht ein erleichtertes Gesicht, dann macht sie das Zeichen, V wie Victory.
Verarsche.
Das war nur eine kleine Verarsche gerade eben, und Karlotta ist reingefallen. Schwester Olga wird natürlich kein Wort in ihren Bericht schreiben, dazu ist sie viel zu nett, und was den Verdacht betrifft: viel zu arglos, die Schwester Olga.
Knack. 17 : 40 .
Noch zwanzig Minuten bis zum Abendessen, in fünf Minuten wird Beethovens Neunte aus den Lautsprechern kommen, vierter Satz, Ode an die Freude,
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