Der Zypressengarten
haben sie jedenfalls beide Pech, denn sie lernen das wunderbare Kind, das ich auf die Welt bringe, nie kennen. Ich brauche nichts, Signora Bruno, nichts und niemanden, weil ich meinen Sohn habe. Ich bin nie mehr alleine.«
Signora Bruno fand ihre Tapferkeit herzzerreißend.
Dante blieb in Mailand, beruhigt, dass sein Kind heimlich geboren würde. Die nagende Angst in ihm ließ nach, weil ihm das Gewicht von den Schultern genommen war und Arrangements getroffen wurden. Sein Vater würde nichts erfahren. Floriana würde in dem Kloster gut aufgehoben sein. Danach setzten sie ihre Beziehung in einer neuen Stadt fort, wo sie niemand kannte. Was die Zukunft betraf, musste er über die noch nicht nachdenken. Fürs Erste war alles geregelt. In den stillen Momenten jedoch, abends vorm Einschlafen oder morgens beim Aufwachen, erschauderte er bei dem Gedanken, wie nahe er dem totalen Ruin gekommen war.
* * *
Florianas Schwangerschaft war ein hochsensibles Thema, über das Pater Ascanio nicht mit der Mutter Oberin am Telefon sprechen wollte. Deshalb vereinbarte er einen Termin.
Auf der Fahrt durch die toskanische Landschaft grübelte er über die unglückliche Situation nach. Floriana würde in den sicheren Mauern von Santa Maria degli Angeli niederkommen, ehe Dante sie in irgendeine Stadt weit weg brachte, wo sie niemand kannte und sie ein neues Leben beginnen konnte. Von allen Mitgliedern seiner Gemeinde war Floriana die, die am wenigsten das psychische Rüstzeug für solch eine Veränderung mitbrachte. Er hatte Angst um sie, allein mit einem kleinen Kind und ohne jede Unterstützung. Vielleicht besorgte Dante ihr Hilfe, doch damit hätte sie immer noch keinen guten Freund in ihrer Nähe.
Der Pater rang mit seiner Wut über Dantes Gedankenlosigkeit. Er hatte das Leben eines jungen Mädchens für einen Moment des Vergnügens zerstört. Natürlich sah Floriana es nicht so. Sie liebte ihn, vertraute blind darauf, dass er für sie sorgte und sie womöglich eines Tages heiratete. Aber Pater Ascanio war alt und weise, und er hatte gleich erkannt, dass der Junge schwach war. Zu oft hatte er dieselben Anzeichen schon gesehen. Die Art, wie er seinem Blick auswich, wie er die Schultern hängen ließ – und Pater Ascanio kannte den Jungen. Er hatte mit angesehen, wie er unter dem strengen Vater groß wurde. Um solch einem Einfluss zu entkommen, brauchte man einen eisernen Willen und viel Courage, und Dante besaß weder das eine noch das andere.
Der Pater erreichte das imposante Tor des Klosters und zögerte, ehe er ausstieg und läutete. War Floriana erst durch dieses Tor, sah er sie vielleicht nie wieder. Sein Herz krampfte sich zusammen, und ihn überkamen auf einmal heftige Gefühle. Erst jetzt, da er im Begriff war, sie zu verlieren, wurde ihm bewusst, wie sehr er das Kind mochte.
* * *
Floriana rief Dante oft vom öffentlichen Münztelefon bei Luigi an. Sie konnten nie lange reden, aber Dantes Stimme genügte, um sie zu beruhigen. In ihrer freien Zeit wanderte sie hinauf nach La Magdalena und besuchte Gute-Nacht. Gemeinsam spazierten sie über die Wiesen, und sie erzählte dem Hund von ihrer Zukunft mit Dante. Sie saßen am Strand, wo das Wasser sanft gegen die Felsen plätscherte und Floriana ihrem ungeborenen Kind vorsang. Der Hund hatte sie unterdes so lieb gewonnen wie keinen anderen.
Pater Severo nahm noch einen Schluck aus der Flasche, die er unter einem Dielenbrett in seinem Schlafzimmer aufbewahrte. Viele Male schon hatte er sich gesagt, dass dieser Schluck sein letzter wäre. Er wusste, dass Pater Ascanio, sollte er ihn ertappen, ihn rauswerfen würde, denn der Pater war ein Mann mit festen Grundsätzen. Trotzdem konnte er nicht aufhören, und Pater Ascanios schlechter Geruchssinn half ihm, unentdeckt weiterzutrinken.
Heute Abend war Pater Ascanio nicht da. Er war nachmittags mit seinem Wagen weggefahren und noch nicht zurückgekommen. Pater Severo fragte sich, ob sein Ausflug mit Floriana zu tun hatte. Dieses Geheimnis war ein prächtiger Fang, und er genoss die Wonne, die es ihm bereitete, etwas zu wissen, dass er nicht wissen durfte, und es bisher niemandem verraten zu haben. Seine Diskretion machte ihn ziemlich stolz auf sich.
Er trank noch einen Schluck. Es war ein herrlicher Abend: das Licht mild, die Luft warm und herbstlich. Durch die alten Mauern der Stadt hallten die Geräusche spielender Kinder, die Erinnerungen an seine eigene einsame Kindheit weckten. Die anderen Jungen wollten nie mit ihm spielen,
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