Derek Landy
den Druck um den Hals des
Polizisten. Scrutinus tat ein paar kurze schnelle Atemzüge, um den
Blutkreislauf in Schwung zu bringen, dann sprang er hinter der Ecke hervor und
sprintete auf die beiden zu. Doch seine Sandalen hatten glatte Sohlen und so
rutschte er auf der vereisten Straße aus und stürzte, wobei er sich das Knie
aufschürfte und den Ellbogen anschlug.
Als er sich vor Schmerzen krümmte, schüttelte der Dicke den
Kopf. "Du bist eine solche Niete."
"Das hab ich auch gerade gedacht", quetschte
Scrutinus zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Der Dicke ließ den inzwischen bewusstlosen Polizisten fallen
und kam herüber. "Du bist dann wohl ein Zauberer? Was kannst du denn
so?"
Scrutinus stand mühsam auf. "Ich bin ausgebildeter
Nahkämpfer", log er. "Komm einen Schritt näher und ich reiße dir mit
meiner Tigerkrallentechnik den Kehlkopf heraus."
Der Dicke grinste und Scrutinus hörte kurz auf
herumzuhumpeln und nahm eine Tai-Chi-Pose ein, die er irgendwann einmal gesehen
hatte. Eine dicke Faust krachte in seine Nase und er taumelte auf ein helles
Licht zu. Was war das? Hatte dieser eine Schlag ihn umgebracht? Ließ er diese
Welt hinter sich und reiste ins große Unbekannte? Dann hörte er den Motor und
eine Wagentür, die aufging, und wusste, dass er auf zwei Autoscheinwerfer
zustolperte.
"Noch mehr Fleischklöpse?", fragte der Dicke.
"Soll mir recht sein."
"Mit Fleisch kann ich nicht dienen", entgegnete
Skulduggery Pleasant und trat zwischen Scrutinus und den Dicken, "aber mit
jeder Menge Knochen." Er hatte seine Pistole in der Hand und zielte direkt
auf den Kopf des Dicken.
Der Dicke lächelte. "Du würdest nie schießen."
"Nein?"
"Ich bin unschuldig. Ich bin sterblich."
"Der Mann, der vor mir steht, ist unschuldig",
bestätigte Skulduggery, "und sterblich, aber der Restant in ihm ist
verlogen und böse. Und er hat zehn Sekunden Zeit, um auszufahren."
"Was soll's? Ich suche mir einfach ein anderes
Opfer."
"Tu das. Such dir eines mit einer besseren Kondition.
Der hier steht kurz vor einem Herzinfarkt."
Der Dicke sah auf Scrutinus hinunter. "Du hast noch mal
Glück gehabt."
Er warf den Kopf zurück, der Restant kroch aus seinem Mund,
schwang sich in die Luft und verschwand in der Dunkelheit. Der Dicke brach
bewusstlos zusammen.
Skulduggery half Scrutinus auf die Beine. "Alles in
Ordnung?"
"Ich habe mir das Knie aufgeschürft und den Ellbogen
angeschlagen."
"Du Armer. Steig ein - wir müssen zum Großen
Saal."
Scrutinus humpelte auf die Beifahrerseite des Wagens und Skulduggery
setzte sich hinter das Lenkrad. Er war nicht schlecht, der Bentley. Er war
schnell.
"Wie hat es eigentlich angefangen?", erkundigte
sich Scrutinus.
"Ich weiß es noch nicht", antwortete Skulduggery.
"Shudder, Ravel, Corrival, Deuce - sie sind alle besessen. Ich bringe die
Leute, die noch nicht betroffen sind, in Quarantäne, bis ich weiß, womit wir es
eigentlich zu tun haben."
Scrutinus schaute ihn an. "Sie haben Deuce erwischt?
Jetzt schon? Aber ... warum? Er ist nicht gerade der mächtigste Zauberer
hierzulande, er ist lediglich ..."
"Er ist unser Großmagier. Das hat nichts mit den
Ausbrüchen zu tun, die es auch früher schon gab, Geoffrey. Dieses Mal sieht es
so aus, als hätten die Restanten einen Plan."
Scrutinus wurde blass. "Falls das stimmt, dann ... dann
ist der Große Saal einer ihrer ersten Anlaufstellen, um zu verhindern, dass wir
unseren Gegenangriff organisieren."
Skulduggery nickte. "Niemand im Großen Saal geht ans
Telefon."
"Und warum fahren wir dann hin?"
"Weil sich inzwischen bestimmt sämtliche Zauberer in
der ganzen Stadt aufgemacht haben, um zu helfen, und weil sie genau dorthin
laufen werden."
"In eine Falle."
Skulduggery sah ihn an. "Bist du nicht richtig froh,
heute Morgen aufgestanden zu sein?"
RUHE BITTE!
Chinas Bibliothek wurde nie geschlossen. Egal zu welcher
Tages- oder Nachtzeit, egal zu welcher Jahreszeit und bei welchem Wetter, die
Bibliothek hatte immer geöffnet. Das Wissen machte schließlich keine Ferien und
China auch nicht. Es gab keine Fenster in der Bibliothek - China fand den
Gedanken unerträglich, dass die Sonne die Buchrücken ausbleichen könnte -, doch
von den Fenstern in ihrem Apartment aus blickte man auf ein von Frost
überhauchtes, glitzerndes Dublin. Es war kalt und silbrig da draußen. Ihr
Apartment war warm und stilvoll beleuchtet. Es gab Momente, da verstand China
nicht, weshalb irgendjemand den Wunsch haben könnte, jemals einen
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