Des Koenigs Konterbande
Eisenringe im Deck gekettet waren. Seine hoch über den Kopf gereckten Arme hingen in Handfesseln, so eng, daß er kein Gefühl mehr darin hatte.
Mit großer Anstrengung zwang er sich zur Ruhe und zählte die Sekunden. Doch die Erinnerung wollte einfach nicht zurückkehren. Erst als er den Kopf bewegte, fühlte er die von dem Schlag herrührende Verletzung und erriet, wie er hier unten gelandet war. Sie mußten ihn danach halbtot geschlagen haben, doch das hatte er in seiner Ohnmacht nicht mehr gespürt. Erst jetzt… Er entspannte die Beine, soweit die Fußeisen dies zuließen. Sein Oberkörper war nackt, und als er an sich herabsah, bemerkte er überall schwarzes, getrocknetes Blut, das im Lampenschein wie Teer glänzte.
Ein schwacher Lichtblitz bohrte sich in sein verletztes Auge, aber als er es abermals zu öffnen versuchte, durchzuckte ihn nur glühender Schmerz. Wahrscheinlich war das Lid mit Blut verklebt. Das machte jetzt auch keinen Unterschied mehr, dachte er verzweifelt. Sie würden ihn sowieso töten. Aber erst, nachdem sie ihn noch mehr gequält hatten.
Von fern drangen schwache Stimmen durch die Holzwände seines Gefängnisses. Auch merkte er plötzlich, daß die heftigen Bewegungen der Brigg aufgehört hatten. Lag sie in einem Hafen?
Doch als sein getrübter Verstand immer mehr Details seiner Umgebung wahrnahm, registrierte er über sich das Knarren des Ruders und das Klappern von Blöcken an Deck.
Wieder sah er sich in dem engen Loch um, obwohl jede Bewegung neue Schmerzen auslöste. Kein Wunder, daß es hier so eng und dunkel war. Er mußte im Lazarett liegen, dem Raum unterhalb der Achterkajüte, wo der Segelmeister gewöhnlich seine Vorräte aufbewahrte. Hier aber war nichts zu erkennen außer ein paar staubigen Kisten. Delaval – keuchend erinnerte er sich an den gefürchteten Namen.
Bruchstückweise kehrte jetzt die Erinnerung zurück: das halbnackte, schreiende und um Gnade bettelnde Mädchen, und dann der Schlag … Deshalb waren die Rudergeräusche auch so nahe und laut. Alldays seemännische Instinkte überwanden allmählich Schmerz und Angst. Die Brigg machte kaum Fahrt. Sie lag aber nicht bekalmt, sondern… Plötzlich fiel es ihm ein: Nebel! Das Schiff mußte durch Nebel behindert sein, was in diesen Gewässern ja oft genug vorkam, vor allem wenn kalter Wind über wärmeres Wasser strich.
Er reckte den Hals. Über ihm befand sich eine Luke, die wohl in die Achterkajüte führte, und im Querschott erkannte er eine kleine Tür, wahrscheinlich für den Zimmermann, damit er Schäden im unteren Rumpf reparieren konnte.
Plötzlich ließ ihn ein neues Geräusch auffahren. Es war ein dumpfes Rumpeln, das er schon tausendmal gehört hatte, wenn eine Kanone durch die Stückpforten ausgefahren wurde. Es mußte von dem langläufigen Neunpfünder der
Loyal Chieftain
stammen, den er beim Beladen der Brigg gesehen hatte.
Vielleicht war Bolitho also ganz in der Nähe, wenn sie gefechtsklar machten? Aber dann verbot er sich die plötzlich aufkeimende Hoffnung, denn für ihn gab es keine mehr.
Besser konzentrierte er seine Gedanken auf den Tod, auf ein würdevolles Sterben ohne Gewinsel, auf den willkommenen Weg aus der Qual, so wie auch die Lady des Kapitäns in der Südsee gestorben war.
Trotzdem wollte sich der Gedanke nicht verdrängen lassen, wie der Strahl eines Leuchtfeuers drang er immer wieder durch den Nebel seiner Schmerzen: Angenommen, Bolitho patrouillierte zufällig in diesem Seegebiet… Erneut drangen dumpfe Schläge und Poltern zu ihm herunter, als wollten sie seine ausufernde Phantasie grob zur Ordnung rufen.
Alldays ganzes Mißtrauen galt einem Toppsegelkutter oder genauer: jedem Schiff mit nur einem einzigen Mast, ganz gleich, wieviel Segelfläche er tragen konnte. Es brauchte nur einen Zufallstreffer, und solch ein Schiff war ein hilfloses Wrack. Wenn sie da oben die achteren Kanonen gefechtsklar machten, handelte es sich wahrscheinlich um eine Verfolgungsjagd. Allday knirschte mit den Zähnen.
Entweder wurde Bolithos Kutter dann entmastet der See überlassen oder, was wahrscheinlicher war, von Delaval so lange als Zielscheibe benutzt, bis er mit Mann und Maus unterging.
Vergeblich zerrte er an seinen Fesseln. Wie Stockdale im offenen Kampf zu fallen, war eine Sache, schreiend unter der Folter zu sterben eine ganz andere. Allday wußte nicht, ob er einem solchen Tod gewachsen war.
Schnell schloß er die Augen und stellte sich bewußtlos, als die Luke über ihm aufflog.
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