Des Teufels Alternative
sie ausgiebig und berichtete Munro, was sie in Erfahrung gebracht hatte.
»Das kann nicht sein!« murmelte er. »Er erholt sich von einem Herzanfall!«
»Nein. Er ist am einunddreißigsten Oktober vergangenen Jahres nachts auf einer Straße in Kiew erschossen worden.«
Zwei Verkäuferinnen, die sieben oder acht Meter von ihnen entfernt an der Wand lehnten, betrachteten das Paar interesselos und schwatzten dann weiter. Einer der wenigen Vorteile eines Einkaufsbummels in Moskau besteht darin, daß man ganz sicher sein kann, nicht von hilfsbereitem Verkaufspersonal angesprochen zu werden.
»Und die beiden in Berlin sind’s gewesen?« fragte Munro.
»Ja, anscheinend«, antwortete Walentina ausdruckslos. »Man befürchtet, sie könnten von Israel aus der Welt von ihrer Tat berichten und damit die Sowjetunion unerträglich demütigen.«
»Was Maxim Rudin zu Fall brächte«, stimmte Munro leise zu. »Kein Wunder, daß er ihre Freilassung um jeden Preis verhindern will. Ihm bleibt gar nichts anderes übrig! Und du, bist du in Sicherheit?«
Walentina trat an den nächsten Verkaufstisch, auf dem Puppen lagen. Munro folgte ihr.
»Das weiß ich nicht, Adam. Ich fürchte, nein. Sie sind mißtrauisch gewesen. Niemand hat etwas zu mir gesagt, aber ich fühle es. Der Mann in der Telefonvermittlung wird deinen Anruf melden; der Pförtner wird melden, daß ich mitten in der Nacht weggefahren bin. Eines kommt zum anderen.«
»Glaub mir, Walentina, ich hole dich hier raus! So schnell wie möglich, vielleicht schon in den nächsten Tagen.«
Sie drehte sich nach ihm um und blickte ihm zum erstenmal voll ins Gesicht. Er sah, daß Tränen in ihren Augen standen.
»Es ist vorbei, Adam. Ich habe getan, worum du mich gebeten hast, und nun ist es zu spät.« Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küßte ihn. Die Verkäuferinnen sahen neugierig zu ihnen hinüber. »Leb wohl, mein Liebster. Es tut mir so leid, daß es so gekommen ist.«
Sie wandte sich ab, kämpfte einen Augenblick um ihre Fassung und ging durch die Glastüren auf die Straße hinaus – durch die Lücke in der Mauer in den Osten zurück. Munro stand mit einer Puppe aus Zelluloid in der Hand da, einem kleinen Milchmädchen, und starrte Walentina nach, bis sie auf dem Gehsteig aus seinem Blickfeld verschwand. Ein Mann in einem grauen Trenchcoat, der hingebungsvoll die Windschutzscheibe eines geparkten Autos geputzt hatte, richtete sich auf, nickte seinem im Wagen sitzenden Kollegen zu und schlenderte hinter ihr her.
Adam Munro fühlte siedendheiß, wie in ihm eine Woge aus Trauer und Wut aufstieg. Die Geräusche des Ladens gingen in dem lauten Rauschen in seinem Kopf unter. Seine Hand schloß sich um den Puppenkopf, ballte sich zur Faust und ließ das lächelnde rosa Gesicht unter dem Spitzenhäubchen zersplittern. Im nächsten Augenblick stand eine Verkäuferin neben ihm.
»Sie haben sie kaputtgemacht«, sagte sie. »Das kostet vier Rubel.«
Verglichen mit dem Sturm von Fragen, den die Öffentlichkeit am Nachmittag zuvor auf die Regierung in Bonn losgelassen hatte, wirkten die Vorwürfe, die am Samstagmorgen über den Bundeskanzler hereinbrachen, wie ein Hurrikan.
Im Auswärtigen Amt gingen äußerst dringende Ersuchen der Botschaften Finnlands, Norwegens, Schwedens, Frankreichs, Dänemarks, der Niederlande und Belgiens ein, in denen um Gesprächstermine für die Botschafter gebeten wurde. Allen Ersuchen wurde stattgegeben, und jeder Botschafter stellte mit diplomatischer Höflichkeit dieselbe Frage: Was, zum Teufel, geht hier vor?
Die Mitarbeiter von Presse, Rundfunk und Fernsehen wurden aus ihrem Wochenende geholt. Sie sollten den Fall erschöpfend behandeln, was nicht einfach war. Es gab keine Aufnahmen der Freya nach der Entführung – bis auf die des verhafteten Fotografen, dessen Fotos beschlagnahmt worden waren. Die Bilder wurden in Paris ausgewertet, aber jene von den beiden Nimrods und diese Aufnahmen erhielt die französische Regierung ohnehin.
Da es an neuen Meldungen fehlte, machten die Reporter sich auf die Jagd nach Material. Zwei clevere Engländer bestachen Angestellte des Hilton Hotels in Rotterdam, liehen sich ihre Uniformen aus und versuchten, in die Dachterrassensuite vorzudringen, in der Harry Wennerström und Lisa Larsen belagert wurden.
Andere Journalisten interviewten Minister, Tankerkapitäne und ehemalige Ministerpräsidenten. Die Ehefrauen der Besatzungsmitglieder, deren Anschriften inzwischen fast alle bekannt waren, versuchte
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