Des Teufels Kardinal
Er wußte nur, daß er plötzlich aus der Untersuchungshaft im Zentralgefängnis geholt worden war, um in ein anderes Ge-fängnis verlegt zu werden. Eine Viertelstunde später war er auf dem Rücksitz eines dunkelblauen Alfa Romeo mit dem leitenden Kriminalbeamten der Gruppo Cardinale neben sich quer durch Rom gefahren worden.
»Sonst niemand«, meldete Scala Roscani nach seinem Rundgang.
»Aus der Küche führt eine Tür zur Hintertreppe. Aber das Schloß ist nicht leicht zu knacken. Wer dort rein will, muß das Glas zerschlagen und viel Lärm machen.«
Roscani nickte, sah kurz zu Danny hinüber, als versuche er ihn einzuschätzen, und wandte sich an Harry. »Herkules soll offiziell in eine andere Haftanstalt verlegt werden, aber der Papierkram ist irgendwie in Unordnung geraten. Morgen um diese Zeit will ich ihn wieder zurückhaben.«
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»Morgen um diese Zeit haben Sie vielleicht uns alle«, antwortete Harry. »Was ist mit der Pistole?«
Roscani zögerte, dann nickte er Scala zu. Der Kriminalbeamte griff unter seine Jacke und zog eine Pistole aus dem Hosenbund, die er Harry gab.
»Calico Parabellum, neun Millimeter, sechzehn Schuß im Magazin«, sagte er in stark akzentgefärbtem Englisch. Dann zog er ein zweites Magazin aus der Jackentasche und gab es Harry ebenfalls.
»Die Seriennummern sind abgefeilt«, erklärte Roscani ihm nüchtern. »Sollten Sie geschnappt werden, wissen Sie nicht mehr, wo Sie die Waffe herhaben. Sagen Sie irgend etwas über die Ereignisse in diesem Raum, wird alles offiziell geleugnet. Und Ihr Verfahren wird schwieriger, als Sie sich jemals hätten vorstellen können.«
»Wir sind uns nur einmal begegnet, Ispettore capo«, antwortete Harry. »Als Sie mich am Tag meiner Ankunft vom Flughafen abgeholt haben. Die anderen hier haben Sie nie gesehen.«
Roscanis Blick wanderte langsam durch den Raum. Er sah Herkules an, dann Elena, danach Danny und schließlich wieder Harry.
»Morgen«, sagte er, »wird der Güterwagen aus dem Vatikan zu einem Abstellgleis zwischen den Bahnhöfen Trastevere und Ostiense gebracht, um dort später abgeholt zu werden. Wir begleiten ihn auf der gesamten Fahrt. Sobald die Rangierlok weiterfährt, sind wir da.
Was den Rest betrifft… Ich rate Ihnen, Farels Männern unbedingt aus dem Weg zu gehen. Sie sind zu zahlreich und haben zu gute Funkverbindungen.«
Roscani zog ein Schwarzweißfoto aus der Innentasche seiner Jacke und gab es Harry.
»Das ist Thomas Kind, wie er vor drei Jahren ausgesehen hat. Ich weiß nicht, ob Ihnen das nützt, weil er sein Aussehen so häufig ver-
ändert, wie wir uns umziehen. Dunkelhaarig, blond, Mann, Frau…
Er beherrscht ein halbes Dutzend Sprachen. Gar nicht erst nachdenken, falls Sie ihm begegnen, sondern gleich abdrücken. Dann weiter abdrücken, bis er tot ist, und einfach weggehen. Die offizielle Ehre, den Kerl zur Strecke gebracht zu haben, können Sie Farel überlassen.« Roscani sah sich in der Wohnung um. »Wir halten heute nacht abwechselnd draußen Wache.«
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»Ich dachte, Sie hätten Vertrauen zu…«
»Nur für den Fall, daß Thomas Kind herausbekommt, wo Sie sind.«
Harry nickte. »Danke«, sagte er aufrichtig.
Roscani sah nochmals zu den anderen hinüber. »Buona fortuna«, sagte er, bevor er Scala und Castelletti zunickte.
Im nächsten Augenblick schloß die Tür sich hinter den Kriminalbeamten.
Buona fortuna. Alles Gute.
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Wuxi.
Freitag, 17. Juli, 3.20 Uhr
Li Wen verzog das Gesicht, als das grelle Blitzlicht ihn blendete, und wollte den Kopf zur Seite drehen. Eine Hand hinderte ihn grob daran.
Wieder ein Blitzlicht und wieder eins und noch eins.
Er hatte keine Ahnung, wer diese Leute waren oder wo er sich befand. Oder wie sie ihn auf dem Weg zum Bahnhof in der erregten Menge, die sich in panischer Angst über die Chezhan Lu schob, aufgespürt hatten. Li Wen hatte nur versucht, nach hitzigen Diskussionen mit den Verantwortlichen der Wasseraufbereitungsanlage Nummer zwei die Stadt zu verlassen. Das von ihm am frühen Morgen untersuchte Trinkwasser hatte eine besorgniserregend hohe Konzentration von Algentoxinen aufgewiesen, genau wie in Hefei, und das hatte er gemeldet. Aber seine Warnung hatte nur bewirkt, daß Lokal-politiker und Sicherheitsinspektoren sich in der Anlage versammelt hatten. Bis ihre Diskussionen dazu geführt hatten, daß die Wasser-entnahme und -aufbereitung aus dem Taihu-See, dem Großen Kanal und dem Liangxi eingestellt wurde, war die Katastrophe längst
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